Versicherungen sind das Kerngeschäft der Schweizerischen Mobiliar. Trotzdem hat die als Genossenschaft organisierte Versicherungsgruppe vor fünf Monaten in Zürich als weltweit erste ein so genannt standortungebundenes Netz von schnellen E-Bikes aufgebaut. Sie will damit nicht in neue Geschäftsfelder vorstossen, sondern neue Versicherungsmodelle entwickeln.
Datensammeln zum Share-System
Die inzwischen mehr als 10'000 Fahrerinnen und Fahrer der Smide-E-Bikes liefern viele Daten – und an diesen sind Raoul Stöckle und sein Team bei der Mobiliar vor allem interessiert. Sie wollen das Geschäft mit dem Teilen von Fahrzeugen grundsätzlich besser verstehen.
«Künftig wird man Autos nicht mehr unbedingt besitzen, sondern teilen», sagt Stöckle. Es gehe nun darum zu lernen, wie sich die Kunden verhalten und wie das Teilen von Fahrzeugen als Ganzes funktioniert. Weil der Praxistest mit E-Bikes viel einfacher durchzuführen sei als mit Autos, sei das Zürcher Veloverleih-Projekt gestartet worden.
Neue Versicherungslösungen gefragt
Hintergrund ist, dass sich das neue Nutzerverhalten auch auf die Art der notwendigen Versicherung auswirkt. Die Mobiliar geht davon aus, dass der Kunde, der ein Auto bloss sporadisch und jeweils nur für kurze Zeit nutzt, nur für die Zeit der Nutzung eine Versicherung will – und nicht für ein ganzes Jahr, wie das heute für Autobesitzer der Fall ist. «Für diese Art von Versicherung haben wir keine Erfahrung, Smide hilft uns dabei, diese zu erhalten», führt Stöckle aus.
Wenn bloss einzelne Velo- oder Autofahrten direkt versichert werden, ändern sich auch die klassischen Risiko-Profile der Versicherungen: Galt bisher ein junger, männlicher Fahrer als grösseres Risiko, könnte es künftig das Umfeld sein. Als mögliche Faktoren in Frage kommen etwa der Wochentag oder das Wetter. «Am Wochenende tagsüber ist das Unfallrisiko viel kleiner als an einem Wochentag zur Stosszeit», nennt Stöckle ein Beispiel. Entsprechend ändere sich das Risikoprofil des Versicherten.
Viele Mikro-Versicherungen kommen teurer
An solchen Kurzzeit-Versicherungen kommt Kritik vom Konsumentenschutz: Es bestehe die Gefahr, dass sich die Leute überversichern, weil sie den Überblick verlieren, wie Sara Stalder von der Stiftung für Konsumentenschutz sagt. «Es widerspricht dem Versicherungsgedanken: Demnach soll Unvorhergesehenes und Überraschendes versichert werden.»
Doch der Trend dieser neuen Versicherungen, bei denen bloss noch einzelne Risiken abgedeckt würden, führe dazu, dass der Konsument keine generelle Versicherung mehr habe, sondern viele einzelne, die er alle bezahlen müsse – es komme ihn am Ende deshalb teurer.
Hinzu komme, dass der Solidaritätsgedanke bei einer Versicherung immer weniger spiele, je gläserner die Versicherten durch die vielen erhobenen Daten werden.
Wie viel Solidarität will die Gesellschaft?
Damit stösst die Konsumentenschützerin bei Projektentwickler Raoul Stöckle auf offene Ohren: «Die Entsolidarisierung ist eine Frage, welche die Gesellschaft klären muss», sagt er.
Stöckle geht davon aus, dass eine Kombination aus verschiedenen Faktoren wie das Umfeld oder persönliche Eigenschaften die Versicherungsprämie bestimmen wird. «Man wird sich aber immer die Frage stellen müssen, wie viele einzelne Daten man auswerten will», betont er.