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Die Schattenseiten des Online-Handels
Aus Trend vom 21.12.2019.
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Paket-Boom zu Weihnachten Wo die Online-Bestellung zur Knochenarbeit wird

Zu Weihnachten werden wieder Millionen Pakete versandt. Die Arbeiterinnen, welche diese verpacken, verdienen aber nach wie vor nicht viel.

Vor Weihnachten ist besonders viel los am Standort der Firma MS Direct in Wittenbach im Kanton St. Gallen. Rund 50 Prozent mehr Pakete als sonst werden in der grossen Lagerhalle für den Versand vorbereitet. An einem der Verpackungstische legt eine Mitarbeiterin gerade ein Kochbuch samt Rechnung in eine Kartonschachtel, verschliesst sie und klebt die Adressetikette drauf. «So sieht das Paket aus, wenn es der Kunde erhält», sagt sie und legt das Paket auf ein Förderband.

Firmen lagern Verpackungsarbeiten aus

Die Firma MS Direct verschickt das Kochbuch im Auftrag der Kochfirma. Diese betreibt einen Onlineshop. Die bestellten Waren verschickt sie dann aber nicht selber, sondern hat die sogenannten Fulfillment-Arbeiten ausgelagert. Nebst dem Verpacken gelten unter anderem auch die Lagerhaltung, der Versand oder die Bearbeitung von Rücksendungen als «Fulfillment»-Dienstleistungen.

Das Paket mit dem Kochbuch ist unterdessen am Ende des Förderbands angelangt. Ein Mitarbeiter mit Behinderung legt es zusammen mit anderen Paketen auf ein Wägelchen. Später werden die Pakete von einem Lastwagen abgeholt und verschickt.

Mehrheitlich Frauen

80 Prozent der Mitarbeitenden, die in Wittenbach und an den anderen Standorten von MS Direct arbeiten, haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Oft haben sie einen Migrationshintergrund.

«Hauptsächlich arbeiten bei uns in der Verpackerei Frauen», sagt Yves Stannek, der für den Standort Wittenbach zuständig ist. Nicht jeden Tag gebe es gleich viele Pakete zu bearbeiten. «Wir suchen deshalb sehr viele Mitarbeitende mit einem Pensum von 20 bis 40 Prozent», sagt Stannek. Oft sind es Mütter.

Kleider werden neu verpackt

Auch in einer anderen Lagerhalle von MS Direct sieht man vor allem Frauen. Hier werden Rücksendungen bearbeitet. Eine Mitarbeiterin öffnet ein Paket und prüft, ob der Rücksendeschein mit dem Kleidungsstück im Paket übereinstimmt.

Gestapelte Pakete in einer Lagerhalle.
Legende: Die Pakete werden in der Lagerhalle gestapelt und später von einem Lastwagen abgeholt. Denise Joder-Schmutz, SRF

Danach erfasst sie das Kleid im Computer. Eine andere Mitarbeitende faltet es schön zusammen und schliesslich wird das Kleidungsstück in einer Maschine verpackt. So, dass es wieder an eine andere Kundin verschickt werden kann.

Tiefe Löhne trotz Gesamtarbeitsvertrag

Das Unternehmen MS Direct habe vom boomenden Onlinehandel profitiert, sagt Mediensprecher Rolf Kobelt auf dem Firmenrundgang. Der Gewinn des Unternehmens wächst jährlich um 5 Prozent. Das Unternehmen ist allerdings nicht nur im Fulfillment tätig, sondern betreibt unter anderem auch noch ein Callcenter.

Trotz Boom und Umsatzwachstum dank dem Onlinehandel: Die Löhne im Bereich Fulfillment sind immer noch tief. Auch bei MS Direct liegt der Einstiegslohn ab dem Jahr 2020 für die ersten sechs Monate gerade mal bei 19.60 Franken pro Stunde. Dies trotz Gesamtarbeitsvertrag, den das Unternehmen dieses Jahr mit der Gewerkschaft Syndicom unterzeichnet hat.

19.60 Franken pro Stunde entspricht ungefähr dem Mindestlohn, der für die übrige Logistikbranche gilt, ist also nicht besonders hoch.

Zu viel Wettbewerb drückt die Löhne

Doch warum sind die Löhne trotz boomendem Onlinehandel tief? Das Fulfillment sei eine Tieflohnbrache gerade, weil der Markt boome, sagt Matthias Finger, Professor für Netzwerkindustrien an der ETH Lausanne.

Eine Frau verpackt etwas in einer Kartonschachtel
Legende: Die Angestellten müssen vor den Festtagen oft auch noch am Samstag arbeiten. Denise Joder-Schmutz, SRF

«Da sind jede Menge neue Unternehmen, die auf den Markt drängen. Die Konkurrenz ist sehr gross und die Margen sehr klein, das drückt auch auf die Löhne», sagt er. Die Gewinner seien Onlineplattformen wie Amazon. Diese haben sehr viele Kunden, ein grosses Paketvolumen und dadurch eine grosse Marktmacht. Wenn nötig, können sie Fulfillment-Tätigkeiten auch selber erledigen – Pakete beispielsweise selber verpacken. Das drückt auf die Preise.

Gewerkschaft analysiert die Branche

Trotz Wettbewerbsdruck: Die Löhne der MS Direct Angestellten seien aus ihrer Sicht gut, betont Kobelt im Büro am Hautpsitz des Unternehmens. Sie hätten ihre Löhne für Ungelernte mit jenen von Coiffeuren ohne Ausbildung oder Wäschereimitarbeitern verglichen: «Unsere Mitarbeiter verdienen effektiv mehr», sagt er.

Tendenziell sind die Arbeitsbedingungen bei MS Direct tatsächlich besser als bei anderen Fulfillment-Unternehmen, heisst es bei der Gewerkschaft Syndicom. Wir sind noch dran, die Branche zu analysieren», sagt Mediensprecherin Lena Allenspach. Bis jetzt hat MS Direct als einziges und erstes Unternehmen in der Fulfillment-Branche einen Gesamtarbeitsvertrag unterzeichnet.

Branchen-GAV gefordert

Die Gewerkschaft Syndicom möchte nun einen Branchen-Gesamtarbeitsvertrag unterzeichnen. Ziel der Gewerkschaft ist es, dass dieser dereinst für allgemeinverbindlich erklärt wird und so für alle Unternehmen gelten würde.

Ein Mann stehend im Sitzungszimmer
Legende: Sein Unternehmen profitiert vom boomenden Onlinehandel, meint der Mediensprecher von MS Direct, Rolf Kobelt. Denise Joder-Schmutz, SRF

Das ist nicht unwahrscheinlich, dürfte aber noch eine Weile dauern. Damit ein GAV als allgemeinverbindlich erklärt wird, müssen sich nämlich zuerst die Hälfte der Unternehmen der Branche dem GAV anschliessen.

Bis es in der Fulfillment-Branche so weit ist, werden also noch viele Pakete verpackt und viele Retouren bearbeitet werden – von Mitarbeitenden ohne GAV.

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