Immer wieder sorgt der deutsche Fleischverarbeiter Tönnies für Schlagzeilen: 2020 etwa als ein Corona-Ausbruch unter den Angestellten seines Schlachtbetriebs in Rheda-Wiedenbrück in Nordrhein-Westfalen schlimme Arbeitsbedingungen und elende Wohnverhältnisses in den Fokus der Öffentlichkeit rückte. Jetzt hat Tönnies eine Aktiengesellschaft in der Schweiz gegründet.
Vertriebsgesellschaft für Fleischerzeugnisse
Laut Handelsregister-Eintrag will Tönnies Fleischerzeugnisse, Lebensmittel und Convenience-Produkte in der Schweiz vertreiben. Ihren Sitz hat die Gesellschaft an der Poststrasse 54 im sanktgallischen Azmoos. Unter dieser Adresse findet sich die Firma Carnatrade von René Engler. Der diplomierte Metzgermeister sagt, er habe die Geschäftsleitung von Tönnies übernommen, um «Prozesse und Strukturen» aufzubauen. Mehr will er am Telefon nicht preisgeben, er verweist auf die Medienstelle von Tönnies.
Der Fokus liegt auf dem Vertrieb von Edelteilen deutscher Rinder, Convenience-Produkten und auf unserem Veggie/Vegan-Sortiment.
Tönnies-Pressesprecher Fabian Reinkemeier gibt sich ähnlich wortkarg. Geplant sei eine Vertriebsgesellschaft, wie sie Tönnies in zahlreichen anderen europäischen Ländern auch habe. Immerhin präzisiert Renkemeier die Pläne von Tönnies ein wenig: «Der Fokus liegt auf dem Vertrieb von Edelteilen deutscher Rinder, Convenience-Produkten und auf unserem Veggie/Vegan-Sortiment.»
Kritik vom Konsumentenschutz
Sara Stalder, Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz, zeigt sich kritisch gegenüber dem neuen Player auf dem Schweizer Markt: «Tönnies ist ein milliardenschwerer Familienkonzern: Sie haben Riesen-Probleme, weil sie die Arbeitnehmer nicht gut behandeln. Sie unterstützen die Massentierhaltung, sie produzieren alles mit tiefsten Kosten und haben natürlich grosses Interesse, in die Schweiz zu kommen, weil sie genau wissen, dass die Leute hier zahlungsbereiter sind und dass sie eine grosse Marge abschöpfen können.»
Marge abschöpfen: Das ist beim Rindfleisch gut möglich. Schweizerinnen und Schweizer sind gerade beim Rindfleisch bereit, tief in die Tasche zu greifen: 2018 kostete ein Kilo «Entrecôte geschnitten» gemäss Jahresbericht des Schweizer Fleisch-Fachverbands 69 Franken, 2021 waren es bereits 12 Prozent mehr, nämlich 77 Franken.
Der Appetit auf Rindfleisch ist gross – so gross, dass die inländische Produktion von 120'000 Tonnen 2020 nicht reichte: 24'000 Tonnen Rindfleisch wurden zusätzlich importiert. Der grösste Teil mit 6809 Tonnen aus Deutschland, gefolgt von Österreich mit 5878, Irland mit 4599 und übrige Länder mit 6169 Tonnen. In den Jahren davor war die Lage ähnlich.
Keine Zusammenarbeit mit Detailhändlern
Migros, Coop und Lidl teilen auf Anfrage von SRF mit, eine Zusammenarbeit mit Tönnies sei nicht geplant. Aldi schreibt, man sei «grundsätzlich offen gegenüber neuen Lieferanten, die ihre hohen Qualitätsanforderungen erfüllen». Der Schweizer Fleisch-Fachverband schreibt: «Bekanntlich gilt in unserem Land und somit auch für die Firma Tönnies der Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit und des freien Unternehmertums bei gleichzeitiger Einhaltung der Schweizer Gesetzgebung.» Ausschlaggebend werde das Kaufverhalten der Konsumentinnen und Konsumenten sein.
Martin Rufer, Direktor des Bauernverbands, äussert sich zurückhaltend: Für die Bauern brächte es keinen Mehrwert, wenn eine Firma in die Schweiz komme, welche die Produkte der Bauern nicht nachfrage.