Das Wichtigste in Kürze
- Mit einem Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts ist ein Fahrverbot älterer Dieselfahrzeuge in dieser und allenfalls anderen deutschen Städten nähergerückt.
- Das Urteil aus Stuttgart gibt auch den 32'000 VW-Diesel-Besitzern Auftrieb, die in einer Sammelklage vor dem Landgericht Braunschweig gegen VW vorgehen.
- Urteil und Klage dürften auch Auswirkungen auf die Schweiz haben. Davon ist der Anwalt der deutschen Kläger, Christopher Rother von der US-Kanzlei Hausfeld, überzeugt.
Seit dem letzten Freitag droht den Besitzern älterer Dieselfahrzeuge ein Fahrverbot in Stuttgart und möglicherweise anderen Städten, also faktisch eine Enteignung. 32'000 deutsche VW-Dieselbesitzer haben bislang vor dem Landgericht Braunschweig geklagt und verlangen die Erstattung des Neuwerts, weil sie durch die Betrugssoftware von VW geschädigt wurden.
Rund 800 Millionen Euro dürfte die Forderung in Braunschweig betragen. Das Gericht entscheidet am 31. August. Die unterlegene Partei wird auf jeden Fall Rekurs einlegen.
Neuer Schub für Sammelklagen erwartet
Nach dem Urteil von Stuttgart werden sich viel mehr Diesel-Besitzer der Sammeklage anschliessen, ist sich deren Rechtsanwalt Christopher Rother sicher, Er erwartet im nächsten Jahr mehr als 100'000 Kunden im Dieselgate-Fall.
Ich denke, dass wir im nächsten Jahr mehr als 100'000 Kunden haben werden.
Rother gehört zur US-Anwaltskanzlei Hausfeld, berühmt durch die Holocaust-Sammelklagen gegen die Schweizer Banken in den 1990er Jahren. Zwar gibt es in Deutschland keine Sammelklagen, aber über einen Umweg sind sie faktisch doch möglich.
Wie sich der Rechtsdienstleister refinanziert
Denn die deutschen Kläger haben ihre Rechte an die Plattform myright, einen Rechtsdienstleister, abgetreten. Für myright prozessiert die Kanzlei Hausfeld. Im Falle eines Sieges streichen myright und Hausfeld satte Gewinne ein, aber auch die Fahrzeughalter.
Ein solcher Prozess ist auch für einen Rechtsdienstleister sehr teuer. Der Rechtsdienstleister wird deshalb durch einen Prozessfinanzierer refinanziert. In diesem Fall ist es der weltweit grösste, Burford Capital. Dieser habe zurzeit ungefähr drei Milliarden US-Dollar als Budgets in verschiedensten Schadenersatzprozessen gebunden, sagt Rother. Für Burford Capital sei selbst ein Volkswagen-Fall eher klein.
Rother: EU wird Vertragsverletzungsverfahren einleiten
Mit im Spiel ist nun aber auch die EU: Vor wenigen Tagen verschickte das Kraftfahrt-Bundesamt Briefe an die Besitzer von VW-Dieselfahrzeugen mit Betrugssoftware. Darin heisst es: «In dem auf Sie zugelassenen Fahrzeug ist eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut, die zur Wiederherstellung der Vorschriftsmässigkeit des Fahrzeugs entfernt werden muss. Das Fahrzeug hat damit einen technischen Mangel, dessen Behebung Ihrer Mitwirkung bedarf.»
Erstmals ist also bestätigt, was VW lange bestritten hat. Was die Fahrzeughalter nun schwarz auf weiss vor sich haben, wissen die Behörden schon länger. Für Anwalt Rother ist klar: Die EU wird anfangen, Vertragsverletzungsverfahren gegen alle Mitgliedstaaten einzuleiten. Und zwar mit der Begründung, die Behörden der jeweiligen Länder hätten nichts unternommen, obwohl sie seit zwei Jahren von den nicht-vorschriftsmässigen Fahrzeugen wussten. Die Länder sind laut Rother verpflichtet, die Fahrzeuge zwangsweise stillzulegen. Das werde ab 2018 passieren.
Rother: «Auch die Schweiz wird Fahrzeuge stilllegen»
Davon seien Fahrzeughalter in zahlreichen EU-Ländern, aber auch in der Schweiz betroffen. Rother wagt die Prognose: «Die Schweizer Behörden wissen seit zwei Jahren, dass mehr als 200'000 Fahrzeuge in der Schweiz auf den Strassen unterwegs sind, die einen gravierenden technischen Mangel haben und niemals hätten zugelassen werden dürfen. Die Schweizer Behörden werden nach meiner Einschätzung im nächsten Jahr damit beginnen, diese Fahrzeuge stillzulegen.»
In der Schweiz vertritt der holländische Rechtsdienstleister Car Claim die Interessen von VW-Diesel-Besitzern. Die Kanzlei Hausfeld plant, insbesondere in der Romandie tätig zu werden.