Mit jedem zusätzlichen Shutdown-Tag gehen in der Schweiz Jobs verloren. Mehr Stellensuchende gab es seit der Jahrtausendwende noch nie. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen steigt.
Im Interview mit «ECO» sagt Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit beim Staatssekretariat für Wirtschaft, welche Gefahren er für das Erfolgsmodell «Schweizer Arbeitsmarkt» sieht.
Seiner Ansicht nach hängt alles davon ab, wie lange die Einschränkungen noch anhalten.
SRF: Für 786'000 Beschäftigte ist Kurzarbeit beantragt. Viele haben bereits ein Jahr lang Kurzarbeit. Ist das sinnvoll über eine solch lange Zeit?
Boris Zürcher: Kurzarbeit ist ein mächtiges Instrument. Wie bei jeder Medizin, die gut wirkt, hat sie auch starke Nebenwirkungen.
Die gute Nachricht: Die Kaufkraft und die Beschäftigung konnten in der Schweiz massiv stabilisiert werden.
Es besteht die Gefahr, dass die Betroffenen berufliches Wissen einbüssen.
Das auch. Ich würde das aber nicht in den Vordergrund rücken. Viele sind nicht zu 100 Prozent auf Kurzarbeit und auch nicht schon das ganze Jahr.
Viele Unternehmen können die Kurzarbeit flexibel einsetzen. Der Arbeitsausfall wird über die Belegschaft aufgeteilt.
Aber wenn es länger anhält, gehen Qualifikationen verloren. Und die Bindung an den Arbeitsplatz nimmt mit der Zeit ab.
Kommt es im Frühling oder Sommer zu einer Entlassungswelle, wenn die Unternehmen nicht mehr an eine schnelle Besserung glauben und ihre Leute eben doch entlassen?
Je länger die Situation anhält, umso mehr müssen die Unternehmen durchhalten. Ich gehe aber nicht davon aus, dass es zu einer Entlassungswelle kommt. Kurzarbeit ist doch sehr wirksam und hat bisher geholfen.
Das ist zwar ein schwacher Trost. Aber in den nächsten Monaten könnte sich auch die Konjunktur etwas verbessern. Der Arbeitsmarkt läuft in der Regel der Konjunktur nach.
Es gibt gute Anzeichen, dass sich Besserung einstellen könnte. Von daher bin ich eher zuversichtlich.
Der Schweizer Arbeitsmarkt gilt als Erfolgsmodell mit einer tiefen Arbeitslosenquote. Jetzt steigt aber die Langzeitarbeitslosigkeit. Schädigt die Pandemie den Schweizer Arbeitsmarkt nachhaltig?
Sie wird sicher Bremsspuren am Arbeitsmarkt hinterlassen. Die Zunahme der Langzeitarbeitslosigkeit ist vor allem darauf zurückzuführen, dass vergangenen Sommer zusätzlich 120 Taggelder für die Stellensuchenden und Arbeitslosen gesprochen wurden. Das ist fast ein halbes Jahr. Damit ist jeder, der vor der Pandemie arbeitslos war, sehr schnell langzeitarbeitslos geworden.
Ich würde aber weniger auf diesen Indikator setzen. Der Arbeitsmarkt ist tatsächlich sehr flexibel. Er hat mehrmals gezeigt, dass, wenn die Konjunktur wieder anzieht, er sehr schnell reagiert und wieder Menschen eingestellt werden.
Das Interview führte Reto Lipp.