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Sensible Lieferketten Wieso Spielwaren und Kleidung teurer werden könnten

Für Waren aus Asien fehlen Transportkapazitäten. Die Pandemie zeigt, wie anfällig globale Lieferketten sind.

Der Showroom der Firma Meili Trading im thurgauischen Hefenhausen ist ein Spielzeug-Paradies. Manfred Meili importiert seit 30 Jahren Spielwaren. Zu seinen Kunden gehören alle grossen Schweizer Detail- und Onlinehändler.

Das meiste Spielzeug kommt aus China. Fein säuberlich sind die neusten Modellautos und feuerspeienden Drachen aufgereiht.

Weihnachten steht vor der Tür

Meili hat eine Präsentation für Kunden vorbereitet. Obwohl erst ein paar Wochen seit Weihnachten vergangen sind, ist die Branche bereits wieder im «Christkind-Modus».

Die Bestellungen müssen raus, so früh wie noch nie. «Wir müssen unsere Ware in China viel früher bestellen. Denn auch unser Lieferant muss seine Rohstoffe viel früher bestellen. Sonst sind die Produktion und der ganze Ablauf nicht sichergestellt.»

Dazu kommt, dass in China Schiffscontainer fehlen. Dies verknappt die Transportkapazität und lässt Frachtraten steigen.

Importeure sind machtlos

In den vergangenen Monaten haben sich die Preise teilweise verfünffacht. Auf rund 10'000 Dollar für einen Container.

«Es ist eigentlich ein Erdbeben für unseren Handel», so Meili. «Ein Erdbeben für unsere Lieferanten, für unser Transportunternehmen. Die ganze Lieferkette ist betroffen.»

Dieses Beben spüren auch andere Branchen. Carl Illi ist Präsident von Swiss Textiles: «Man ist machtlos. Für einen Unternehmer ist es das Schlimmste, wenn er seine Lieferkette nicht mehr beeinflussen kann.»

Lockdowns lösen Kettenreaktion aus

Das Problem begann mit dem Lockdown in China vor einem Jahr. Zwei Monate stand das Land still, Fabriken waren lahmgelegt. Internationale Reedereien bauten Transportkapazitäten ab.

Im Sommer erholte sich zwar die Wirtschaft in China. Die Nachfrage nach Konsumgütern zog an. Doch die darauffolgenden Shutdowns in Europa führten dazu, dass viel weniger Waren nach Asien exportiert wurden.

Und plötzlich fehlten Container in China. Die Nachfrage nach Konsumgütern stieg aber immer weiter, eine Kettenreaktion setzte ein.

Alle Schiffe ausgebucht

Man sei abhängig von den Reedereien, sie würden bestimmen, was ein Container kostet, sagt Carl Illi.

Das bestätigt auch Pascal Felten vom Logistikunternehmen Nordtransport in Arlesheim bei Basel. Felten kauft Frachtkapazitäten bei Reedereien und verkauft sie an seine Schweizer Kunden, meist KMU.

«Den Mangel an Containern nutzen die Reeder, um ihre Preise zu erhöhen. Sie sagen: Wenn ihr Container haben wollt, müsst ihr bezahlen, was wir wollen.»

Reedereien weisen die Schuld von sich. Hapag-Lloyd sagt auf Anfrage, die Preiserhöhung betreffe nur etwa 20 Prozent der Transporte.

Ausserdem habe man alles auf dem Wasser, was Container transportieren kann. Auf der Strecke Asien-Europa sei die ganze Kapazität für die nächsten Wochen ausgebucht.

Am Ende zahlt der Konsument

Pascal Felten ist überzeugt, dass diese Entwicklung bald auch die Konsumenten spüren werden.

«Am Ende des Tages wird es darauf hinauslaufen, dass der Konsument bezahlen muss. Irgendwann können wir und die Importeure diese Last nicht mehr selber schultern.» Dann werde es zu Preissteigerungen kommen.

Es wird nicht besser

Eine kurzfristige Besserung sei nicht in Sicht, sagt Pascal Matthey von der Versicherungstochter AXA XL. Er berät Unternehmen in Sachen Lieferketten (siehe Interview unten).

«Wir sehen eine Verlangsamung des Importprozesses – aufgrund der sozialen Distanz, wegen Personalausfall und geschlossener Grenzen.»

In den Häfen fehlen Arbeiter. Es dauert länger, bis Schiffe entladen werden. Dadurch wird weitere Transportkapazität blockiert.

Manfred Meili hat in 30 Jahren Geschäftsleben eine solche Situation noch nie erlebt. Der Vorteil sei: Spielwaren würden immer gekauft.

«Doch wenn wir wegen den kurzfristigen Veränderungen nicht kalkulieren können, droht ein Verlustgeschäft.» Die Kettenreaktion setzt sich fort.

«Firmen kennen ihre Lieferketten zu wenig»

Box aufklappen Box zuklappen

Die Pandemie ist für Pascal Matthey ein grosser Weckruf. Er leitet das Risikomanagement für Transport AXA XL, einer Tochter des Versicherungskonzerns AXA, und berät Unternehmen in Sachen Lieferketten.

Im Interview sagt er, welche Fragen sich Unternehmen jetzt stellen sollten.

SRF: Herr Matthey, kennen die Unternehmen ihre Lieferketten gut genug?

Pascal Matthey: Ganz klar: Nein. Es ist immer wieder erschreckend zu sehen, wie wenig Überblick viele Unternehmen über ihre Lieferkette haben. Und ich spreche da nicht nur von KMU, sondern auch von Weltkonzernen.

Was ist der Grund dafür?

Lieferketten wurden immer komplexer. Dazu kommt: Innerhalb eines Unternehmens gibt es auch verschiedene Interessenslagen. Es gibt eine Speditionsabteilung, eine Verkaufsabteilung, eine Produktionsabteilung. Die arbeiten zwar schon zusammen, aber haben unterschiedliche Interessen. Dabei geht oft unter, woher die Ware beschafft wird.

Eigentlich ist es einfach: Was muss ich als Unternehmer wissen? Was brauche ich, um produzieren zu können, wo beschaffe ich mir das Material, und wie transportiere ich es? Diese drei Fragen sind für mich oft nur teilweise beantwortet.

Sollten Unternehmen jetzt wieder mehr an Lager halten?

Langfristig sicher nicht, denn finanziell ist das nicht nachhaltig. Und man schafft andere Risiken. Es entsteht ein Supermarkt für organisierte Kriminalität. Man lagert an zig Orten Ware, die nicht richtig geschützt wird. Damit steigt das Diebstahlrisiko.

Glauben Sie, dass sich die Lieferketten verändern werden?

Die Welt nach der Pandemie wird nicht die gleiche sein wie zuvor. Für mich ist Corona ein grosser Weckruf. Firmen müssen sich viel mehr mit Lieferfristen, Lieferwegen, mit der ganzen Logistikkette auseinandersetzen als bis anhin.

Es sind strategische Entscheide. Man kann als Unternehmen nicht von heute auf morgen beschliessen, beispielsweise nicht mehr in Asien einzukaufen.

Wir stellen indes fest, dass sich viele Unternehmen damit auseinandersetzen.

ECO, 8.2.2021

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