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Smartphone-Banken Der Schweizer Finanzplatz hinkt hinterher

Anders als in der EU müssen Schweizer Banken Daten nicht mit Fintechs teilen. Das verhindert Innovation, sagen Kritiker.

Patrik Schär hat den Schritt in die neue Welt gemacht. Über zehn Jahre hat er in der traditionellen Bankbranche gearbeitet.

Jetzt sitzt er in einem Co-Working-Space und brütet über Algorithmen.

Algorithmen für Selma, Schärs digitalen Finanzberater. Kundinnen und Kunden können via Selma ab 2000 Franken Vermögen Geld anlegen – seit neustem auch in die Säule 3a.

Den Schritt in die neue Welt hätten viele etablierte Banken noch nicht gemacht, sagt Schär. Und meint damit offene Kundenschnittstellen. Weil die Bankdaten dem Kunden gehören, sollen die Kunden alleine entscheiden, wer Zugriff darauf hat.

Neo-Banken in der Schweiz sind gegenüber dem Ausland im Nachteil

In der Schweiz ist das nicht der Fall. Schär kann mit seinem digitalen Finanzberater den Kontostand des Kunden bei dessen Hausbank nicht abrufen. Selbst wenn der Kunde dies explizit wünscht.

Dasselbe gilt für Fonds, die der Kunde hält: «Wir können diese nicht in unserem System anzeigen, wir können sie nicht analysieren, wir können keine Aussage dazu machen. Die einzige Möglichkeit, etwas dazu zu sagen, ist, wenn der Kunde uns diese Daten manuell übermittelt», sagt Schär.

Kryptobanken haben die Banklizenz bereits im Sack

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In einem Fintech-Bereich gehört die Schweiz zu den Vorreitern: bei Instituten, die sich im Bereich Blockchain und Kryptowährungen an institutionelle Kunden richten.

Gleich zwei dieser «Kryptobanken» haben im August von der Finanzmarkt-Aufsicht eine volle Bankenlizenz erhalten – Seba und Sygnum.

Seba-Gründer Guido Bühler, der einst für die UBS arbeitete, sagt: «Mit Blockchain, mit den Attributen, welche diese Technologie offeriert, kann man das Finanzsystem wirklich neu definieren, vereinfachen, emotionaler machen und kosteneffizienter».

Kundinnen und Kunden können per App Bitcoin und andere Kryptowährungen verwalten, handeln oder gegen herkömmliches Geld tauschen.

Seba will mit Blockchain noch mehr ermöglichen: Unternehmen sollen ihre Vermögenswerte digital abbilden und stückeln können, um sie in Echtzeit handelbar zu machen.

Das Ziel: Die Firmen sollen einfacher und günstiger an Kapital kommen.

So wollen die Blockchain-Banker von Seba für neue Konkurrenz sorgen. Etablierte Banken reagieren. Die Privatbank Julius Bär etwa hat sich an Seba beteiligt.

Gleichzeitig mit Seba hat die Kryptobank Sygnum eine Banklizenz erhalten. Auch sie ist mit der «alten» Bankenwelt verbandelt, Ex-UBS-Chef Peter Wuffli sitzt im Verwaltungsrat.

Sygnum ist wie Seba halb Bank, halb Tech-Firma. Mitgründer Mathias Imbach sagt: «Wir sehen uns schon in der Position zu helfen, traditionelle Banken aufzurütteln.»

Der richtige Umgang mit Technologie sei künftig ein wichtiger Erfolgsfaktor für Banken. «Wir haben den Vorteil, dass wir nicht auf historisch gewachsenen Systemen aufbauen, sondern eine neue Infrastruktur um die Erfindung Blockchain aufbauen konnten.»

Appell an die Schweiz und ihre Banken

Mathias Imbach leitet das Geschäft in Singapur – auch dort besitzt Sygnum eine Lizenz.

Die Schweiz müsse aufpassen, im Rennen der Finanzplätze nicht zurückzufallen, sagt er.

Dies mit Blick auf Liechtenstein und Deutschland, wo 2020 weit reichende gesetzliche Veränderungen eingeführt werden, die laut Imbach «fast noch weiter gehen als das, was wir in der Schweiz haben. Das könnte zu einem Nachteil werden.»

Die Schweiz müsse sich wieder daran gewöhnen, dass Fortschritt nur durch harte Arbeit komme. Es gelte, die Angst vor dem Scheitern abzulegen. Ein Aufruf, der auch den Banken gilt.

Jörg Gasser von der Bankiervereinigung kann sich durchaus vorstellen, dass Kryptobanken zur ernsthaften Konkurrenz werden, sofern es ihnen gelinge, das traditionelle Bankengeschäft auf eine andere Art an den Kunden zu bringen. «Und das ist gesund für ein Ökosystem», sagt Gasser.

Das passt auch anderen Fintech-Gründern im Land nicht. Einer von ihnen ist Andy Waar. Er gehört zu den Gründern der Handy-Bank Yapeal, die voraussichtlich kommendes Jahr an den Start geht.

«Es würde sicher helfen, wenn Kunden ihre Bankgeschichte der letzten zehn Jahre in unsere App reinnehmen könnten», sagt er. «Dann könnten unsere Algorithmen und unsere künstliche Intelligenz ihnen besser helfen, cleverer zu wirtschaften.»

Europa hat die Zeitenwende schon eingeleitet

Informationen über Kundinnen und Kunden: Sie gehören in der Schweiz den Banken. Die Banken gewähren in der Regel keinen Zugriff auf ihre Schnittstellen.

Damit falle die Schweiz immer weiter zurück, sagt Thomas Puschmann vom Fintech-Innovationslabor der Universität Zürich.

Man könne den Reifegrad der Länder bezüglich offener Schnittstellen in drei Phasen einteilen. «Die Schweiz befindet sich in Phase eins: Man diskutiert das. Andere Länder wie Brasilien oder Argentinien haben schon Gesetzesvorlagen erarbeitet. Ganz weit sind die EU-Länder, die das Ganze bereits umgesetzt haben.»

Die EU hat 2018 die Zahlungsdienste-Richtlinie PSD2 (Payment Services Directive) eingeführt. Die Ziele: mehr Wettbewerb im Finanzbereich, mehr Rechte für Kundinnen und Kunden.

Auf Wunsch des Kunden müssen Banken Kunden-Informationen mit Fintechs teilen. Diese können dann im Auftrag von Kontoinhabern Zahlungen auslösen oder Kontodaten lesen.

PSD2 ist ein weit reichender Eingriff des Staates – und hat auch bei europäischen Banken laute Kritik ausgelöst. Dennoch: Die Zeitenwende in Europa ist eingeleitet.

Neue Töne von Schweizer Banken

Die Schweizerische Bankiervereinigung hat PSD2 bisher scharf kritisiert. Es sei ein Experiment, das gefährliche Verwirrung schaffe und die Datensicherheit der Kunden untergrabe.

Nun schlägt ihr Direktor Jörg Gasser neue Töne an. Dass die Schweiz in Rückstand geraten ist, gesteht er unumwunden ein. «Wir hinken vielleicht ein bisschen hinterher. Aber es ist bekannt, dass wir oft etwas mehr Zeit brauchen, dafür umso gründlicher das Feld von hinten aufrollen», sagt er im Interview mit «ECO».

Wir hinken vielleicht ein bisschen hinterher.
Autor: Jörg Gasser CEO Bankiervereinigung

Auch in der Schweiz bewegen sich einzelne Institute. Die Hypothekarbank Lenzburg öffnet freiwillig ihre Schnittstellen für Fintechs. Und die SIX testet offene Schnittstellen für Firmenkunden.

Gasser ist überzeugt, dass weitere Banken «sehr bald» auf diesen Zug aufspringen werden. Staatlich verordnete Regulierung wie PSD2 lehnt er indes entschieden ab. «Das ist völlig unnötig, denn das kommt sowieso.» Freiwillig.

Für Bankkundinnen und -kunden, denen die Schweiz zu wenig rasch vorwärtsmacht, hat Gasser einen Rat: «Letztendlich hat der Kunde die Möglichkeit, sich von einem Institut wegzubewegen, hin zu einem, welches das Geschäftsmodell besser realisiert, das der Kunde wünscht».

Noch schotten sich Schweizer Banken ab. Das hält Selma-Gründer Patrik Schär für einen Nachteil – nicht nur für Fintechs, sondern für den ganzen Finanzplatz. «In Europa gibt es, getrieben durch diese Gesetze, Banken, die gar über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen.» So ermöglichten sie sich selbst und Fintechs, Erfahrungen zu sammeln und bessere Produkte für den Kunden zu entwickeln. Und in der Schweiz? «Wir hinken gemeinsam hinterher», sagt Schär.

Wer nicht digitalisiert, bezahlt einen hohen Preis

Thomas Puschmann vom Swiss Fintech Innovation Lab drängt auf einen raschen Wandel in der Schweiz. Letztlich werde die Digitalisierung nicht konsequent umgesetzt.

Vergleiche man die internationalen «Digitalisierungs-Champions» mit den Banken, die nicht konsequent digitalisierten, sehe man, dass «bis zu 50 Prozent höhere Kosten daraus resultieren».

Die Folge: Banken müssen Stellen abbauen oder in andere Länder auslagern.

Um das zu verhindern, muss die Innovation gemeinsam mit Fintechs vorangetrieben werden. Dem stimmt auch die Bankiervereinigung zu: «Fintechs sind wichtig, um innovative Kraft in den Markt zu bringen und die traditionellen Institute in Richtung Innovation zu bewegen», sagt Jörg Gasser.

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