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Sorgen um Industrie «Der Standort Deutschland wird neu bewertet»

Deutschland sorgt sich um seine Industrie. CDU-Chef Merz warnt beispielsweise vor einem schleichenden Prozess der Deindustrialisierung und fordert einen Fünf-Punkte-Plan zur Stärkung der Konjunktur. Ökonom Michael Hüther führt aus, wo er Ansätze zur Lösung sieht.

Michael Hüther

Deutscher Ökonomieforscher

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Professor Doktor Michael Hüther ist Wirtschaftsforscher und Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln.

SRF News: Findet in Deutschland tatsächlich eine Deindustrialisierung statt?

Michael Hüther: Vor dem Hintergrund einer länger laufenden Rezession in der Industrie – nämlich seit 2019 – und der Schocks, die wir zwischenzeitlich erlebt haben, und nachhaltig hoher Energiepreise wird der Standort neu bewertet. Deutschland hat mit 20 Prozent einen Industrieanteil, der doppelt so hoch ist wie in anderen Ländern. Das deutsche Wachstums- und Wohlstandsmodell ist Industrie-basiert.

Der deutsche Wirtschaftsminister Habeck hat angekündigt, dass er mit vielen Investitionen der Unternehmen rechnet. Zeichnet er damit nicht ein anderes Bild?

Nein, die Sorgen sind auch im Wirtschaftsministerium da. Was mit der Transformationspolitik zur Klimaneutralität in Gang gesetzt wurde, ist alles richtig. Es muss nun in eine allgemeine Wachstumsstrategie eingebettet werden. Das hat mit steuerlichen Anreizen zu tun, beispielsweise mit Investitionsprämien. Und wir haben seit 14 Jahren keine Unternehmenssteuerreform gehabt. Da gibt es Ansatzpunkte, die Unternehmen Raum geben sollen.

Wir können nicht alles auf die USA schieben, sondern wir müssen feststellen, dass in Deutschland lange relativ wenig passiert ist.

Sie sehen den Staat in der Pflicht. Stehen auch die Unternehmen in der Pflicht?

Natürlich sind die Unternehmen in der Pflicht. Aber wenn sich der Standort so grundsätzlich in der relativen Bewertung zu anderen Staaten oder den USA verändert, stellt sich schon die Frage, welchen Beitrag der Staat zu leisten hat.

Die Transformation zur Klimaneutralität fordert den Staat in höherem Masse, als das in normalen Strukturwandelprozessen der Fall ist.

Zum Beispiel: Elektromobilität setzt Ladeinfrastruktur voraus. Das sind staatliche Aufgaben. Die Transformation zur Klimaneutralität fordert den Staat in höherem Masse, als das in normalen Strukturwandlungsprozessen der Fall ist.

Schwächelt die deutsche Industrie auch aufgrund des Beschlusses zur Inflationsreduktion der USA?

Es ist ja nicht so, dass wir keine Milliarden an Fördermitteln in Gang bringen. Dieser Beschluss der USA hilft auch deutschen Maschinen- und Anlagenbauern und Elektrotechnikunternehmen, die in die USA liefern.

Was tun die USA gegen die Inflation?

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Mit dem Inflation Reduction Act planen die USA Investitionen in Höhe von 369 Milliarden US-Dollar alleine in den Klimaschutz und die Stärkung der Zukunftsbranchen.

Wir können nicht alles auf die USA schieben, sondern wir müssen feststellen, dass in Deutschland lange relativ wenig passiert ist. Infrastrukturausbau, die Frage der Regulierung und der Genehmigungspflicht; das müssen wir ohnehin angehen.

In einem industriell basierten Wohlstandmodell, auch für die Transformation, braucht man alles.

Ist diese Situation eine Chance, dass Deutschland von energieintensiven Betrieben wegkommt?

Ich weiss gar nicht, ob die Aufgabe ist, von energieintensiven Betrieben wegzukommen. In einem industriell basierten Wohlstandmodell, auch für die Transformation, braucht man alles. Es ist nicht so, dass wir die Chemie, Glashersteller, Stahl oder Papier nicht bräuchten. Insofern ist es eine Aufgabe, den Rahmen zu schaffen, damit diese Unternehmen ihren Umbau organisieren können.

Wie könnte eine neue Erfolgsformel für Deutschland lauten?

2002 war Deutschland auch in einer ähnlich schwierigen Situation. Damals war das zentrale Thema, wie wir mehr Menschen in Arbeit kriegen. Dann kam die Wirtschaftsagenda 2010.

Wir haben nun historisch die höchste Erwerbsquote, die wir je hatten. Heute liegen die Aufgaben in der Einbettung der Transformationspolitik in eine Agenda 2030, die die Infrastrukturaufgaben ernst nimmt, die die Steueranreize setzt und die auch das Verwaltungshandeln des Staates auf eine andere Ebene bringt.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

 

Echo der Zeit, 08.08.2023, 18:00 Uhr ; 

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