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Spitzenökonom zur Boni-Debatte «Über Roger Federers Millionen regt sich niemand auf»

Laut Ernst Fehr können Millionen-Saläre gerechtfertigt sein – aber viele Firmen berechnen Manager-Vergütungen falsch.

Verhaltensökonom Ernst Fehr

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Ernst Fehr gilt in Rankings als einflussreichster Ökonom des deutschsprachigen Raums. Er ist Professor an der Universität Zürich und widmet seine Forschung vor allem der Wechselwirkung zwischen Mensch und Wirtschaftssystem. Zudem ist der Direktor des mit der Universität Zürich assoziierten UBS International Center of Economics in Society.

SRF: An den Generalversammlungen von ABB, Novartis und Credit Suisse haben die Aktionäre den Vergütungsbericht nur knapp angenommen oder, im Falle von Georg Fischer, sogar abgelehnt. Warum ist das Ende der Geduld erreicht?

Ernst Fehr: Es hat in den letzten Jahren immer wieder latente Kritik an den Vergütungssystemen gegeben. Irgendwann kulminiert das, etwa weil die Unternehmen Kommunikationsfehler machen. Im Falle der Credit Suisse haben wir einen CEO, der die Führung eines Unternehmens übernahm, welches nicht im Idealzustand war, und dadurch nicht belastet werden wollte.

Was heisst, er wollte nicht belastet werden?

Im Kompensationsbericht der Credit Suisse hat man die Altlasten der Firma, die auf die Jahre von Brady Dougan oder noch früher zurückgehen, aus den Leistungsindikatoren herausgerechnet. Dafür kann man Argumente finden: Tidjane Thiam ist nicht dafür verantwortlich, dass die Credit Suisse heute Strafen bezahlen muss, die ihren Ursprung vor 2010 haben.

Es ist nicht die Höhe allein.

Dreht sich der Unmut vor allem um die Millionen-Gehälter?

Es ist nicht die Höhe allein. Ein gutes Beispiel ist Roger Federer. Er verdient im Jahr 30, 40 oder 50 Millionen – wer regt sich in der Schweiz darüber auf? Es geht also um die Art und Weise, wie die Vergütung zustande kommt. Die Öffentlichkeit hat das Gefühl, nicht nachvollziehen zu können, welche Leistung den hohen Gehältern gegenübersteht. Manchmal sind die Gehälter tatsächlich nicht gerechtfertigt. In vielen Fällen aber machen die Kompensationssysteme den Zusammenhang einfach nicht transparent.

Wenn die Öffentlichkeit nachvollziehen könnte, dass ein Topmanager der Firma zusätzliche Einnahmen von vielen Millionen gebracht hat, und er davon drei Prozent bekommt – was vielleicht viel Geld ist, denn drei Prozent einer grossen Geldsumme können 5, 6, 7, 8 Millionen sein – würden manche Leute zum Schluss kommen: Ja, so viel hat er gebracht.

Kann man überhaupt ein zweistelliges Millionengehalt rechtfertigen?

Möglich ist es. Das Beispiel Roger Federer zeigt es ja: Wenn jemand wie er im höheren zweistelligen Millionenbereich im Jahr verdienen kann, weil er so viel wert ist, dann ist es auch möglich, dass ein Manager eines grossen Konzerns der Firma enormen Wertzuwachs verschafft, wenn er gut agiert.

Es ist aber auch möglich, dass der Manager sehr viel Wert vernichtet. Deshalb braucht man variable Anreizsysteme, die gut aufgesetzt sind. So hat man ein Mass für die Wertschaffung und die Wertvernichtung, damit die Öffentlichkeit sieht, was das Management geleistet hat.

Es existieren perverse Beziehungen.

Sie haben an einer Studie mitgearbeitet. Wie lautet die zentrale Erkenntnis?

Sie lautet: Wenn man die Managerleistung nach objektiv nachprüfbaren Kriterien misst, wird bei einer grossen Anzahl von Firmen nicht gute Leistung besonders belohnt oder schlechte Leistung nicht belohnt bzw. bestraft. Sondern: Die Entlohnung ist weitgehend unabhängig von der Leistung.

Kann es auch so weit gehen, dass der Zusammenhang negativ ist?

Lohn und Leistung

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Ernst Fehr ist Mitarbeiter einer heute erschienenen Studie, die die Entlöhnung von Top-Managern mit deren Leistung vergleicht. Sie trägt den Titel «Pay for Performance Report 2017». Herausgeber ist das Beratungsbüro Fehr Advice, geleitet von Ernst Fehrs Bruder Gerhard Fehr.

Es gibt Firmen, in der sogar eine sogenannte perverse Beziehung existiert. Manager werden mehr belohnt, wenn sie weniger geleistet haben. Das passiert, wenn falsche Leistungsindikatoren verwendet werden.

Nennen Sie Namen oder Branchen?

Nein, ich nenne da prinzipiell keine Namen. Ich will niemanden anschwärzen. Sondern ich will kommunizieren: Es gibt Verbesserungspotenzial. Häufig wird für das Top-Management ein Leistungsindikator verwendet, der nicht die objektive Leistung des Managements erfasst, sondern der durchtränkt ist durch subjektive Einschätzungen, oder der verwendete Leistungsindikator ist einfach falsch.

Pay for Performance Report 2017

Falsch inwiefern?

Der absolute Aktienkurs eines Unternehmens etwa ist ein schlechter Leistungsindikator.

Warum?

Weil der absolute Aktienkurs und die damit verbundene Rendite von gesamtwirtschaftlichen Schwankungen beeinflusst werden, für die das Management nichts kann. Wenn Mario Draghi die Geldpolitik verändert, wenn in Frankreich die Wahlen so oder so ausgehen, ändern sich die Aktienkurse. Und dafür können das Unternehmen und das Management nichts. Man muss sozusagen sowohl den Gegenwind als auch den wirtschaftlichen Rückenwind eines Unternehmens aus dem Leistungsindikator herausrechnen.

Ich bin ein Anhänger variabler Vergütungssysteme.

Weshalb ist eine leistungsabhängige Vergütung überhaupt notwendig?

Das Management verfügt in der Regel über einen grossen Informationsvorteil gegenüber dem Verwaltungsrat, den es zu seinem eigenen Vorteil ausnützen und damit dem Unternehmen schaden kann. Variable Vergütungssysteme dienen dazu, ein pekuniäres, finanzielles Interesse beim Management zu schaffen, im Interesse des Gesamtunternehmens zu investieren, Geschäftsbereiche zu definieren, das Geschäftsmodell aufzugleisen und so weiter.

Das klingt ja eigentlich gut.

Es ist ja auch gut. Ich bin auch ein Anhänger von variablen Vergütungssystemen. Das Problem ist: Sie sind in Verruf geraten, weil variable Vergütungssysteme mit Boni gleichgesetzt werden.

Da liegt meines Erachtens ein grundsätzliches Missverständnis vor. Der Begriff Bonus deutet darauf hin, dass man nur aussergewöhnliche Leistungen belohnen sollte und dass alles andere sozusagen mit dem Fixgehalt abgedeckt ist. Aber variable Vergütungssysteme haben den Vorteil, dass man schlechte Leistung auch durch automatische Abzüge von der Gesamtentlöhnung «bestrafen» kann – wenn sie gut aufgegleist sind. Das Problem ist, dass sie das nicht immer sind.

Das Interview führte Manuela Siegert.

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