Während die Unternehmer und Manager in diesen Tagen bei Häppchen und an Networking-Anlässen in Interlaken zusammenstehen, geht es nicht nur um neue Deals, das politische oder das wirtschaftliche Umfeld. Es geht auch um sie selbst. «Ist der heutige Chef ein Auslaufmodell?», lautet etwa eine Veranstaltung, der die Teilnehmer des Swiss Economic Forums in grosser Zahl beiwohnen.
Es verändere sich etwas, das erkennen die Top-Leute an. Es sei zu einem Miteinander geworden, heisst es. Oder: Man gebe keine Ziele mehr vor, nur noch Richtungen. Aber ihre Rolle als Führungsperson finden die meisten nach wie vor bedeutend. Als verzichtbar wollen sich die wenigsten bezeichnen.
Zukunftsforscher Yuri van Geest hat eine klare Meinung: «Ich bin der Ansicht, dass wir andere Chefs brauchen. Und weniger.»
SRF: Wie muss ein Chef heute sein?
Yuri van Geest: Führungskräfte werden mehr zu Coaches oder Ratgebern. Sie sollen nicht von oben bestimmen, sondern Dinge ermöglichen und vereinfachen.
Gute Chefs zeichnen sich durch folgende Eigenschaften aus: Sie sind mutig, sie sorgen ständig für Innovationen. Sie sind gleichzeitig demütig und hören ihren Leuten gut zu. Das ist eine grosse Veränderung. Die Angestellten werden selbst zu Entscheidern, wechseln von passivem zu aktivem Verhalten.
Und Überraschung: Die junge Generation, die Millenials, schätzen das sehr. Sie fordern es vom ersten Tag an ein.
Realisieren das die Chefs?
In den westlichen Ländern sind sich meiner Meinung nach 80 bis 90 Prozent dessen nicht bewusst. Denn sie sind auf einen Management-Stil konditioniert, der Führung von oben herab und zentralisiert versteht.
Aber es ändert sich langsam, denn man kann ein Unternehmen angesichts der Geschwindigkeit dieser Entwicklungen nicht mehr so führen. Entscheidungsfindung muss auf alle Angestellten verteilt werden, damit man mithalten kann. Oder damit man überhaupt eine Chance hat, mithalten zu können.
Ist die Schweiz darauf gut vorbereitet?
Die Schweiz verfügt über ein grosses Plus und über ein grosses Minus. Es gibt hohe technische Fähigkeiten und Entwicklungen, die zu den besten der Welt gehören. Aber ich glaube, als Land ist die Schweiz hängt zu sehr an seiner Vergangenheit.
Ihr müsst Unternehmen hier neu denken. Und ihr müsst darüber nachdenken, wie man das zusammenfügt. Im Moment gibt es viele einzelne Technologie-Hotspots. Sie sind zwar Weltklasse, aber in der Zukunft geht es um die Frage, wie man Technologien kombinieren kann. Wie kann man Biotech mit Nanotechnologie, künstlicher Intelligenz und Mobiltelefonie verbinden? Hier liegt eine grosse Herausforderung.
Wer trägt Verantwortung, wer muss handeln?
Alle. Jeder einzelne Bürger, die Regierung, natürlich auch Firmenchefs, Start-ups, auch die Ausbildungsstätten. Es sollten alle zu einem grossen Ökosystem gehören – wie China das vormacht. Es geht ums Zusammenarbeiten, nicht gegeneinander arbeiten; darum, Wissen zu teilen, sich offener und angreifbarer zu zeigen, das Scheitern zu begrüssen. Wir müssen realisieren, dass wir zehn Mal so gut werden müssen, nicht nur um zehn Prozent besser. Wir leben in einer neuen Welt.