SRF News: Wie sieht die digitale Handelsbilanz der Schweiz aus?
Klaus Hommels: So gut wir in der Schweiz in den alten Industrien sind, so schlecht sind wir in den digitalen Industrien. Wir haben eine rote Handelsbilanz, weil wir viele Digitalgüter importieren und keine Firmen selber hervorbringen, die exportieren. Wir alle nutzen Facebook oder Google. Das sind digitale Güter, die wir nachfragen – und damit importieren –, doch wenn Sie Amerikaner oder Franzosen fragen, welche digitalen Güter aus der Schweiz sie benutzen, gibt es grosse Fragezeichen.
Wieso gibt es nicht viele Schweizer Startups im digitalen Bereich, die zu grossen Firmen heranwachsen?
Das ist ein generelles Thema in Europa. Das hat etwas mit unserer Risikoaversion zu tun. Wenn man die heute grossen Firmen betrachtet, haben deren Gründer zu Beginn sozusagen vier oder fünf Mal hintereinander am Roulettetisch auf «Zahl» gesetzt und gewonnen. Wenn man dieses Risikoprofil nicht hat, fühlt man sich eher versucht, früh zu verkaufen. Das ist etwas, was wir als Kultur ändern müssen, um in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein.
Das Risikoprofil ist etwas, das wir in unserer Kultur ändern müssen, um in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein.
Was passiert denn mit den Startups, die Potential hätten?
Es gibt zwei Tendenzen: Entweder sie werden früh verkauft, weil das Risiko für die Gründer zu hoch ist. Oder es gibt sogenannte «Acqui-Hires», das heisst, die Firma wird nur wegen den qualifizierten Mitarbeitern gekauft, von denen es in der Schweiz viele gibt. Diese werden dann im neuen Betrieb aber in anderen Gebieten eingesetzt und nicht in ihrem ursprünglichen Feld.
Das Problem liegt also daran, dass wir zu wenig Mut haben, viel Geld in ein Unternehmen zu investieren, das – salopp gesagt – schnell «bachab» gehen kann?
Das ist sicherlich so. Wir müssen viele Wetten machen, damit eine aufgeht. Von der Kultur her sind wir in Europa bescheidener als in Amerika. Wir hatten in der Vergangenheit viel Zeit, im mittelständischen Bereich langsam Firmen aufzubauen. Die Geschwindigkeit ist aber etwas, was uns nicht so leicht fällt.
Was funktioniert denn im Ökosystem für Startups – und was nicht?
Was klappt: Wir haben viele Innovationen, wir haben toll ausgebildete Leute, die ETH ist ein fantastisches Beispiel. Doch wir haben europaweit keine Geldgeber, welche die Summen bereitstellen könnten, die diese Firmen brauchen. Wenn sich diese Startups für solche Beträge an amerikanische Geldgeber wenden, verlieren wir sie, und da ist das Problem.
Ist Verbesserung in Sicht?
Graduell haben wir in den letzten acht, neun Jahren sensationelle Sprünge gemacht, im gesamten Gründungsumfeld sind wir sehr viel professioneller geworden. Das Thema Wachstumsfinanzierung ist aber immer noch in den Kinderschuhen, obwohl es volkswirtschaftlich wichtig ist und obwohl es eine sehr rentable Anlage sein kann. Es ist hier sehr, sehr schwierig, grosse Volumina zu mobilisieren.
Was droht uns, wenn wir diese Entwicklungen verschlafen?
Dass wir marginalisiert werden. Die Entscheidungen werden in Amerika getroffen, wo die grossen Technologiekonzerne sind. Ich würde mal provokativ behaupten, dass heute der Algorithmus von Facebook für die Wahl in Deutschland entscheidender ist als alle Wahlplakate. Ein Beispiel dafür, was diese Abhängigkeit von supranationalen Plattformen bedeuten kann.
Die Entscheidungen werden in Amerika getroffen, wo die grossen Technologiekonzerne sind.
Gibt es einen Weg, diesen Trend zu stoppen?
Eine Kombination von entschiedener Wirtschaftspolitik, entschlossener Investitionspolitik von Unternehmen und Kapitalsammelstellen und einem kulturellen Umdenken sind die Voraussetzungen. Europa kann so viel, da sollten wir uns anstrengen, dass wir das hinkriegen.
Das Gespräch führte Sedrik Eichkorn.