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Vergütung von Managern 17 Millionen sind nicht genug

Weshalb machen Topmanager alles für noch mehr Geld? Die Antwort ist unbequem: Sie handeln sehr menschlich.

Seit zwei Monaten sitzt der Chef der Auto-Allianz Nissan-Renault-Mitsubishi in Untersuchungshaft. Carlos Ghosn soll sein Gehalt nicht vollständig angegeben haben. Und er soll Firmengeld für private Zwecke missbraucht haben.

Der Auto-Manager hat bis zu 17 Millionen Franken pro Jahr erhalten. Auch wenn er Anfang dieses Jahres vor einem Gericht in Tokio jegliche Anschuldigungen abgestritten hat, sieht es schlecht für ihn aus: In Japan führen 99 Prozent der Anklagen zu einer Verurteilung.

Porträt Carlos Ghosn
Legende: Carlos Ghosn: Gefeiert als Automanager von Nissan, Renault und Mitsubishi – und seit zwei Monaten in Untersuchungshaft. Keystone

Carlos Ghosn wäre dann ein weiteres Beispiel in einer Reihe von Topmanagern, die verurteilt worden sind oder gegen die Strafverfahren laufen:

  • In den USA wurde der Chef des Sicherheitskonzerns Tyco 2005 verurteilt und sass knapp 7 Jahre im Gefängnis. Dennis Kozlowski hatte Hunderte Millionen Dollar Firmengeld für eigene Zwecke verwendet. Aus reiner Gier, wie er zugab. Tyco existiert nicht mehr.
  • Insolvent ist auch der deutsche Konzern Arcandor, zu dem die Warenhauskette Karstadt gehörte. Deren Chef Thomas Middelhoff wurde 2014 wegen Veruntreuung und Steuerhinterziehung zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren verurteilt.
  • In der Schweiz steht seit einem Jahr Raiffeisen im Fokus. Der ehemalige Chef Pierin Vincenz sass wegen des Vorwurfs ungetreuer Geschäftsbesorgung in Untersuchungshaft. Er soll sich durch Firmendeals privat bereichert haben und wartet auf seine Anklage.

«Kein Topmanager malt sich aus, dass er jemals im Gefängnis landen könnte.» Eugene Soltes' Feststellung fusst auf Gesprächen mit rund 50 delinquenten Managern. Der Wirtschaftsprofessor an der Harvard Business School hat unter anderem mit Anlage-Betrüger Bernard Madoff korrespondiert.

2016 hat er das Buch «Why They Do It» veröffentlicht. Im Interview mit dem Wirtschaftsmagazin «ECO» gibt er Einblick in das Denken dieser Manager.

«Zeigen kaum Einsicht für den Schaden, den sie angerichtet haben»

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SRF: Wie kommt es, dass Menschen, die bereits Dutzende Millionen verdienen, immer mehr wollen, gar kriminell werden?

Eugene Soltes: Bei Leuten, die bereits Dutzende Millionen pro Jahr erhalten, macht eine Million mehr, machen auch fünf oder zehn Millionen mehr keinen Unterschied.

Man muss sehen: Carlos Ghosn wurde verhaftet, als er aus seinem Privatflugzeug ausstieg. Er besitzt ein halbes Dutzend hübscher Anwesen. Ob er jetzt zehn Millionen mehr oder weniger bekommt, ändert nichts an seinem materiellen Besitz.

Anders sieht es aus bei der Frage: Was habe ich dieses Jahr vollbracht? Wir messen uns doch alle. Der CEO eines grossen Unternehmens misst sich daran, was er im Vergleich zu anderen CEOs verdient. Und die erhalten ebenfalls Dutzende von Millionen.

Wie sehen die Verurteilten Ihre Entscheidungen rückblickend?

Die verurteilten Führungskräfte zeigten kaum Einsicht oder Bedauern für den Schaden, den sie angerichtet haben. Was sie bedauern, ist, dass sie zu wenig bei ihrer Familie waren, die Heirat ihrer Tochter oder die Abschlussfeier ihres Sohnes verpasst haben.

Aber den Schaden für Aktionäre, die Millionen oder Milliarden von Dollar, die sie vernichtet haben, die Angestellten, die verlorenen Jobs, das sehen die wenigsten.

Das liegt wohl an der Distanz zwischen diesen Managern und den Investoren. Man fühlt sich nicht schlecht gegenüber jemandem, den man so gut wie nie sieht.

Aber sehen diese Leute nicht, dass sie ins Gefängnis kommen könnten?

Sie sehen nicht, dass, wenn sie das Gesetz brechen, das im Gefängnis enden könnte. Sie denken: Ins Gefängnis gehen doch die Bösen. Das sind andere Menschen, die nicht wie wir in guten Schulen und tollen Unternehmen waren. Aber wenn man diesen Weg einschlägt, dann ist das Gefängnis der Ort, an den es führt.

Das Interview führte Tom von Grünigen.

Wer Macht hat, tendiert dazu, sie zu missbrauchen. Diesen Zusammenhang zeigt Sozialpsychologe Wolfgang Scholl auf. «Es gibt immer eine Neigung bei Menschen, den eigenen Vorteil voranzustellen vor das, was die Gemeinschaft braucht oder vor die Kooperation mit anderen Menschen», sagt er.

Zwar seien in Topetagen überdurchschnittlich viele Menschen zu finden, die besonders viel für sich selbst täten: Narzissten oder Machiavellisten. Von diesen abgesehen, unterscheiden sich gierige Topmanager in ihrer Motivation nicht von anderen Menschen. Wohl aber in der Handlung.

Wenn der Eigennutz nicht in Schach gehalten wird

Denn das Suchen nach dem eigenen Vorteil werde normalerweise «in Schach gehalten dadurch, dass andere ja auch ihren eigenen Vorteil suchen und dann letztlich zur Meinung kommen, dass das Gemeinsame zu suchen, die Kooperation zu suchen für alle besser ist. Wenn jetzt aber Menschen sehr viel Macht haben, können sie den eigenen Vorteil suchen, ohne dass die anderen ihnen gross schaden können, weil die anderen weniger Macht haben.»

Menschen mit Macht müssen kontrolliert werden, und es ist Aufgabe von Unternehmen, diese Kontrolle sicherzustellen.

Wolfgang Scholl weist darauf hin: «Es gibt ganz klare Studien, die zeigen: Je geringer die Kontrolle der Topmanager ist, umso mehr übertreten sie Gesetze und umso mehr bereichern sie sich selber.»

Zu hohe Machtkonzentration bei Nissan-Renault-Mitsubishi

Der Geschäftsführer von Nissan, Hiroto Saikawa, hat sich in seiner Pressekonferenz am 19. November 2018 in Selbstkritik geübt. «Wenn der Chef von Renault, das zu 43 Prozent an Nissan beteiligt ist, auch Nissan führt, hat eine Person zu viel Macht.»

Das Unternehmen Nissan ist in Japan ebenfalls angeklagt. Damit wird sich nicht nur Carlos Ghosn vor Gericht verantworten, ein ganzes System wird sein Versagen erklären müssen.

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