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Verspätungen & Annullierungen Flugchaos – so sicher wie der Sommer

Flugpassagiere müssen sich auch in diesem Jahr auf Reisen mit Hindernissen einstellen. Doch sie haben Rechte.

Zeit des Reisens, Zeit des Ärgers: Der Flugsommer 2018 ist als «Chaos-Sommer» in Erinnerung geblieben. Am Flughafen Zürich etwa war jeder vierte Flug verspätet. Auch Annullierungen waren an der Tagesordnung.

Ein Jahr später haben alle Beteiligten – Fluggesellschaften, Flughäfen und Flugsicherungen – ihre Lehren gezogen.

  • Beispiel Lufthansa: Die grösste europäische Airline-Gruppe hat 600 Personen eingestellt und verfügt nun über 37 Reserve-Flugzeuge. Insgesamt hat die Gruppe 250 Millionen Euro in bessere Abläufe und transparentere Kommunikation investiert.
  • Beispiel Flughafen Zürich: Zürich hat sein Personal aufgestockt und wird in diesem Monat einen neuen Abrollweg in Betrieb nehmen, um die Kapazitäten zu erhöhen. In die Abrollwege und zehn neue Standplätze hat der Flughafen Zürich insgesamt 70 Millionen Franken investiert.
  • Beispiel Flugsicherung Skyguide: Weil im vergangenen Jahr sowohl in Frankreich als auch in Deutschland Engpässe in der Flugsicherung bestanden – wegen Streiks oder schlicht zu wenig Personal – half Skyguide aus und leitete Flugzeuge über die Schweiz. Zudem hat Skyguide alle Kurse für Flugverkehrsleiter voll belegt, um ausreichend Personal zu haben.

Dennoch ist auch von diesen drei Stellen zu hören: Dieser Sommer wird kaum besser als der letzte.

Zwei Frauen warten mit Gepäck am Flughafen.
Legende: Am Flughafen sitzen statt am Meer liegen: Auch in diesem Sommer müssen Flugpassagiere Geduld mitbringen. Keystone

Noch drastischer sieht es Eamonn Brennan, Vorsitzender der europäischen Flugsicherungsbehörde Eurocontrol.

Er sagte im Frühjahr in einem Interview mit CNN: «Wir werden noch mehr Verspätungen sehen. Letzten Sommer waren 33 Prozent aller Flüge verspätet, und die Durchschnittsverspätung betrug 49 Minuten. Diesen Sommer wird es noch schlimmer.»

Die Hauptursache liegt im europäischen Himmel. Dieser besteht aus 37 unterschiedlichen Flugverkehrskontrollen. In den USA gibt es eine.

Der fragmentierte europäische Luftraum

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Seit Ende der 1990er-Jahre besteht in der EU-Kommission das Projekt «Single European Sky», das den Luftraum vereinheitlichen soll. Doch das Vorhaben stockt.

Jedes Land schaut zuerst zu sich selbst

Die einzelnen Länder zeigen offenbar kein Interesse daran, in ihr Hoheitsgebiet eingreifen zu lassen. Das berichten unterschiedliche Quellen, die in Arbeitsgruppen und an Kommissionssitzungen anwesend sind.

Zudem geht es um Geld: Für jedes Flugzeug, das einen nationalen Luftraum überquert, erhält die zuständige Luftsicherung eine Summe von der betreffenden Airline.

Aus Kreisen der EU-Kommission ist zu vernehmen, dass vor allem Deutschland und Frankreich blockieren – und ohne diese beiden Länder sei ohnehin nichts zu erreichen.

Die EU-Kommission schreibt auf die Frage, weshalb das Projekt «Single European Sky» keine Fortschritte mache:

SESAR (Single European Sky Air Traffic Management Research) solutions have led to an 11% increase in airport capacity, and in 2018 alone, saved 36 seconds of delay per flight, as well as 5kg of kerosene per flight.

However, this is not sufficient. SESAR deployment must be accelerated to increase efficiency in the sky.

That is why the Commission went one step further and proposed a reform of this legal framework (Single European Sky 2+) in order to upgrade the system, but unfortunately this has been on hold for years.

The Commission calls on the European Parliament and Member States to assume their responsibilities and resume as soon as possible discussions on the proposal tabled in 2013.

In the meantime, The Commission is working on both short term and long-term measures to address this issue. In the short term, the Network Manager measures will mitigate the negative effects of the lack of capacity. In the medium to long term, results from the Airspace Architecture Study and the work done by the Wise Person Group will serve as input for the evolution of the Single European Sky.

This is a timely opportunity to discuss the airspace capacity challenges in Europe and the future of the Single European Sky. Last week the European transport Ministers jointly agreed that immediate action is needed to address current lack of capacity in the European airspace.

It is clear; the current air traffic system needs an urgent upgrade. The Commission and all involved parties need to closely cooperate to build a modern and efficient air traffic infrastructure in Europe.

Did the massive delays of summer 2018 change anything in the European Commission?

We did foresee the growth of air traffic in Europe and have taken action at our level by making the necessary proposals. But, let us clarify that hiring staff to manage air traffic control systems is the sole responsibility of the air navigation service provider in each Member State.

The role of the EU is to help Member States develop their performance plans, through STATFOR forecasts developed by Eurocontrol, which provide different scenarios for Member States to choose from. The forecasts are based on estimates, including supporting assumptions for traffic.

In 2015-2019 (RP2), after experiencing 3 years of declining traffic since 2009, some Member States adopted a conservative approach by basing their forecasts on the low-growth scenario for traffic growth, and did not invest sufficiently to meet the current levels of growth in air traffic.

Verspätungen können für die Airlines teuer werden. Denn Flugpassagieren stehen Entschädigungen zu. Wann und in welcher Höhe, regelt ein EU-Gesetz.

Das Recht auf Entschädigungen hat die Firma Airhelp zu ihrem Geschäft gemacht. Nach eigenen Angaben hat das US-Unternehmen in den vergangenen sechs Jahren 10 Millionen Passagieren zu Entschädigungszahlungen verholfen.

Auf dieses Gesetz können sich Passagiere berufen

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Das EU-Verordnung von 2004 sieht unter anderem vor:

Bei einer Verspätung von mindestens drei Stunden und einer Distanz von 1500 Kilometern schuldet die Airline eine Entschädigung von 250 Euro, bei drei Stunden auf Strecken bis 3500 Kilometern 400 und bei vier Stunden auf Strecken ab 3500 Kilometern 600 Euro. Verspätet sich der Abflug um mehr als 5 Stunden, hat der Kunde das Recht, auf den Flug zu verzichten und sein Geld zurück zu verlangen.

Link zur «Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments»

Umsatz, Gewinn oder Erfolgsquote gibt das Unternehmen nicht bekannt. Im Erfolgsfall verlangt Airhelp 25 Prozent Provision.

Airhelp: Airlines behaupten oft, es besteht kein Anspruch

Die Kommunikationsverantwortliche, Paloma Salmeron, sagt: «Einige Fälle sind klar entschädigungsberechtigt. Etwa wenn Piloten streiken oder nicht ausreichend Personal zur Verfügung stand, um den Flug durchzuführen – auch aus technischen Gründen.»

Die Airline behaupte dann oft, es bestehe kein Entschädigungsanspruch.

Vergangenen Monat hat Airhelp ein unrühmliches Ranking veröffentlicht. Es zeigt, wie häufig Airlines in der Schweiz Entschädigungsforderungen ablehnen, die eigentlich berechtigt wären.

Ganz oben auf der unrühmlichen Liste steht mit 96 Prozent Easyjet. Aber auch Edelweiss, Swiss und Lufthansa lehnen laut Airhelp einen Grossteil der Forderungen ab.

Anteil zu unrecht abgewiesener Entschädigungsforderungen

Easyjet 96 %
Edelweiss80 %
Swiss74 %
Tap58 %
Lufthansa51 %
Quelle: Airhelp

Die Fluggesellschaften sind auf Airhelp nicht gut zu sprechen. Easyjet schreibt auf Anfrage: «Wir weisen diese Ergebnisse von uns. Easyjet nimmt seine Verantwortung sehr ernst und wird immer eine Entschädigung bezahlen, wenn sie berechtigt ist. Wir wollen es unseren Passagieren so einfach wie möglich machen, die Forderung direkt bei uns zu stellen. So erhalten sie die volle Entschädigung und verlieren nicht einen signifikanten Betrag an Firmen wie Airhelp (Original: Englisch).»

Swiss zweifelt Objektivität von Airhelp an

Swiss schreibt, es handele sich bei Airhelp «um ein gewinnorientiertes Unternehmen, welches unserem Kenntnisstand nach mit der Bearbeitung von Entschädigungsforderungen ein kommerzielles Ziel verfolgt. Wir kommentieren daher Informationen oder allfällige Rankings derselben nicht, weil wir vor dem genannten Hintergrund von deren Objektivität nicht überzeugt sind.»

Reklamationen oder Forderungen von Fluggästen nehme man ernst und prüfe jeden einzelnen Fall.

Beim Mutterkonzern Lufthansa setzt man auf eine Charme-Offensive. Das Unternehmen hat extra eine Stelle in der Konzernleitung geschaffen, um Prozesse zu optimieren und Kunden besser zu informieren.

Deren Inhaber, Detlef Kayser, der den vergangenen Sommer selbst als «Chaos-Sommer» bezeichnet, sagt: «Wir müssen pünktlicher werden, und wir müssen weniger Flugstreichungen haben.» All dies diene dazu, Unzufriedenheit bei den Kunden erst gar nicht aufkommen zu lassen.

«Wenn es dann doch dazu kommt, halten wir uns natürlich an die gesetzlichen Randbedingungen und zahlen das, was wir zu zahlen haben. Im letzten Jahr in der Grössenordnung einer viertel Milliarde Euro.»

Das Chaos im europäischen Flugverkehr – es ist für die einen teuer, für die anderen ein Geschäft und für die Passagiere ärgerlich. Daran wird sich auch diesen Sommer wenig ändern.

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