Pierin Vincenz kommt 1999 an die Macht. Er übernimmt den Chef-Posten bei der kleinen Bauern-Bank Raiffeisen – einer Genossenschaft bestehend aus gut 300 Kleinbanken, alle mit eigenen Chefs und Verwaltungsräten.
Kaum auf dem Chefsessel, gibt der Bündner Banker Gas. Er forciert vor allem das Geschäft mit den Hypotheken. Mit Erfolg: Heute ist Raiffeisen vor den beiden Riesen UBS und CS die Nummer 1 im Hypothekar-Geschäft. Entsprechend gewachsen ist auch die Bilanzsumme. Pierin Vincenz hat sie fast verdreifacht. Gut 200 Milliarden Franken schwer ist die Bilanz der Bank heute.
Finanz-Shopping
Doch das etwas biedere Genossenschafts-Banking war Vincenz offenbar nicht genug. Mit dem Kapital der Bank, also dem Geld der Genossenschaften, kaufte er kräftig ein. Anfang 2012 kaufte er einen Grossteil der strauchelnden St. Galler Privatbank Wegelin. Diese stand wegen krummen Geschäften in den USA kurz vor dem Kollaps. Später taufte Vincenz den neuen Privatbanken-Ableger der Raiffeisen um in Notenstein.
Eine weitere Akquisition war die Beteiligung von Raiffeisen an der Derivate-Firma Leonteq, deren Präsidium Pierin Vincenz auch gleich übernahm. Auch dieses Geschäft, wie schon der Einstieg ins Private Banking, war ein gewagter Schritt. Beide Investitionen müssen heute als unglücklich bezeichnet werden.
Wasser predigen und Wein trinken
In der Öffentlichkeit pflegte Pierin Vincenz gerne das Bild der bescheidenen Raiffeisen. Im Wirtschaftsmagazin «ECO» etwa sagte er vor einigen Jahren: «Der gute Banker weiss immer auch, wo die Grenzen sind, und dass es eigentlich um Dienstleistungen für den Kunden geht – also Zahlungsverkehr, Finanzieren, Sparen und solche Sachen – und nicht für die Bank oder für sich selber.»
Doch Private Banking und Derivate waren nicht genug. Raiffeisen beteiligt sich unter Vincenz auch an Informatik- und Investment-Gesellschaften. Als Vincenz Raiffeisen verlässt, kauft er von mindestens einer Firma auch privat Anteile. Deswegen untersucht die Finanzmarktaufsicht Finma nun wegen Interessenkonflikten gegen ihn und gegen Raiffeisen. Das Verfahren läuft noch, es gilt die Unschuldsvermutung.
Das System Vincenz: Ausbau von Raiffeisen, in einer zweiten Phase mit einer Beteiligungsstrategie, die sich als wenig erfolgreich herausgestellt hat. Sein Nachfolger stösst nun die Beteiligungen eine nach der anderen wieder ab.
Stellungnahme Pierin Vincenz
Wer viel Macht auf sich vereint, wird weniger kritisiert.
Mit Pierin Vincenz an der Spitze konzentrierte sich bei der genossenschaftlichen Raiffeisen die Macht in St. Gallen. Psychologie-Professorin Petra Schmid erklärt, welche Konsequenzen dies für Führungspersonen und für ihre Unternehmen hat.
SRF: Bei Firmen kommt es immer wieder vor, dass die obersten Führungskräfte die Macht auf sich konzentrieren. Warum passiert das?
Petra Schmid: Es spielen zwei Dinge eine Rolle: Die Persönlichkeitsmerkmale der Führungskräfte und das Umfeld in der Firma. Kader-Leute, die sehr dominant sind und ein hohes Macht-Motiv haben, sind meist auch die, welche Macht auf sich konzentrieren. Ob es ihnen gelingt oder nicht, dass hängt dann vom Umfeld ab. Bei Firmen mit ausgeprägten Checks und Balances kommt Machtkonzentration zum Beispiel weniger vor.
Wann kann Machtkonzentration für ein Unternehmen gefährlich werden?
Wer viel Macht auf sich vereint, wird tendenziell auch weniger kritisiert. Das führt dazu, dass sich Führungspersonen mit grosser Macht-Fülle eher auf sich selbst verlassen und nach ihren eigenen Gefühlen Entscheidungen treffen. Diese müssen nicht schlecht sein, sie sind nur mangelnder Kontrolle unterworfen. Somit besteht die Gefahr, dass diese Führungspersonen Entscheidungen treffen, die eher ihnen selbst, aber nicht dem Unternehmen nützen.
Birgt die Machtfülle auch Risken für die Führungspersonen selbst?
Ja, denn meist identifizieren sie sich mit ihrer Stellung, mit der Macht, mit dem Geld. Und wenn ihnen all das auf einmal abhanden kommt, dann verlieren sie quasi ihre Identität. Das kann zu gravierenden psychischen Problemen führen.