Die Alarmglocken schrillen unüberhörbar: Nach Angaben der Vereinten Nationen sind derzeit so viele Menschen auf der Flucht wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Mehr als 50 Millionen Menschen haben ihr Heimatland verlassen – aus Angst vor Krieg und Folter, aber auch aus wirtschaftlicher Not.
Gleichzeitig wächst macht sich in vielen anderen Ländern Europas das Gefühl breit, Migranten könnten Arbeitsplätze wegnehmen, den Wohlstand mindern oder die eigene Kultur verändern. Ist die Migration ausser Kontrolle geraten?
«Wenn es schwierig ist, dann in den Nachbarstaaten»
«Wenn sie die Regionen anschauen, in denen Krieg herrscht, muss man sagen: In diesen Regionen ist Migration ausser Kontrolle geraten», sagte Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga. Sie verwies aber auch auf die grossen regionalen Unterschiede. «Ungefähr zehn Prozent kommen nach Europa, der Rest bleibt in der Region. Wenn es eine schwierige Situation gibt, dann vor allem in den Nachbarstaaten», so Sommaruga. Dort sei Hilfe gefragt. «Was kann Europa beitragen, um den Schutz dieser Menschen zu gewährleisten?»
Globale Herausforderung
«Wir leben in einer Zeit der grössten menschlichen Mobilität. Jeder siebte Mensch lebt nicht in dem Land, in dem er geboren ist», gab der Chef der Internationalen Organisation für Migration, William Lacy Swing, zu bedenken. Es gebe derzeit so viele humanitäre Katastrophen wie nie. Gleichzeitig werde Migration so schlecht wahrgenommen wie selten zuvor. Nicht die Migration sei das Problem. «Die Welt ist ausser Kontrolle geraten», so Lacy. Er forderte grössere Anstrengungen von der Politik, um der Probleme Herr zu werden.
Malis Präsident Ibrahim Boubacar Keita pflichtete Lacy bei. «Migration ist eine weltweite Herausforderung. Jeder von uns muss mit seinen Mitteln versuchen, die Abwanderung möglichst klein zu halten», so Keita. Unter anderem müsse jungen Menschen vermittelt werden, welche Gefahren Migration bergen könne.
«Die Emotionen sind ausser Kontrolle»
Hikmet Ersek, Chef von Western Union – einem Finanzdienstleister, der vielen Migranten zur Geldübermittlung dient – erinnerte daran, dass viele Migranten mit ihrer Arbeit für den Wohlstand im Westen sorgten. «Wir sitzen hier beim Weltwirtschaftsforum und wollen, dass das Geld fliesst, wir wollen Wachstum – aber wir mögen es nicht, dass die Menschen über die Grenzen gehen. Da wird es plötzlich emotional.»
Fast jedes zweite der 500 umsatzstärksten Unternehmen der Welt sei von einem Migranten oder von dessen Kindern aufgebaut worden. «Die Länder, in die sie kommen, können von ihnen profitieren. Was heute ausser Kontrolle ist, sind eher die Emotionen.»
Europa gehe falsch mit Migration um, sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. «Das ist das grosse Problem für die Europäer. Wir nehmen die Migration zur Kenntnis, aber wir organisieren sie nicht.» Statt sich um diese Frage zu kümmern, bekämpfe man die Migration und versuche, Grenzen zu dicht zu machen. «Das ist unverantwortlich.» Schulz forderte ein Quotensystem in Europa – ähnlich wie in den USA und in Kanada.