Es ist eigentlich breit akzeptiert und von der Forschung gestützt: Gemischte Teams bringen bessere Leistungen als homogene. In grossen Schweizer Unternehmen sind Männer in den Führungsriegen im Vergleich zur Gesamtbelegschaft aber noch immer rund doppelt so häufig vertreten wie Frauen. Das zeigt ein neuer Bericht der Universität St.Gallen und des Wirtschaftsverbands Advance.
Mitautorin Ines Hartmann sagt: In den unteren Führungspositionen seien Frauen noch gut vertreten, dann passiere aber irgendwo ein Bruch, sie kommen nicht mehr weiter: «Das wird als gläserne Decke bezeichnet, weil nicht erkennbar ist, weshalb.» In der Tech-Industrie ist diese gläserne Decke viel weniger dick als in den Spitälern.
Chefärzte sind meist Männer
Besonders in der Ärzteschaft sind Männer in der Führung übervertreten. Angefragte Ärztinnen wollten sich lieber nicht öffentlich zum Thema äussern. Sie berichten von sehr traditionellen Rollenbildern: Ein Chefarzt sei immer verfügbar, allwissend und müsse durchsetzungsstark sein. «Das sind nicht unbedingt Eigenschaften, die wir mit Frauen assoziieren», sagt Hartmann.
Die Ärztinnen sprechen von einer Angstkultur, von grossem Druck und einem harten Konkurrenzkampf, vor allem an den Unispitälern. Für viele Frauen – und auch für viele Männer – ist eine Karriere so schlicht nicht attraktiv. Sie wechseln an Regionalspitäler und in Praxen.
In Spitälern gibt es im Vergleich zu anderen Branchen zudem eher wenige Führungsfunktionen, sagt Hartmann. Umso entscheidender sei der Beförderungsprozess. «Wie definiert man, wer eine Leitungsfunktion verdient hat?» Da sehe man oft, dass Personen befördert werden, die schon lange dabei und sehr loyal seien. Dazu die Forscherin: «Das führt nicht unbedingt dazu, dass die am besten geeignete Person aufsteigt.»
Helfen würden formalisierte Prozesse, also klare Kriterien, Transparenz und mehrere Personen, die in den Entscheid involviert werden. Die Ärztinnen berichten dagegen, dass die älteren Männer häufig junge, ihnen ähnliche Männer nachziehen würden. Frauen würden benachteiligt.
Die Tech-Industrie machts vor
In der Tech-Industrie hat sich in den letzten Jahren vieles verändert. Linda de Winter hat es bis nach oben geschafft. Sie verantwortet die Informatik der Kreditkartenfirma Swisscard, führt bis zu 250 Leute. In ihrem IT-Führungsteam sind die Hälfte Frauen. Aber auch sie ist auf ihrem Weg mehrfach an eine gläserne Decke gestossen.
Nach der Geburt ihres ersten Kindes zurück bei der Arbeit, habe ihr der Vorgesetzte geraten, sie solle auf ihre Work-Life-Balance achten, sagt de Winter: «Dabei bin ich doch die Einzige, die über meine Work-Life-Balance entscheidet.» Sie habe ihn daraufhin konfrontiert, aber er habe einfach ein komplett anderes Weltbild gehabt. Sie habe sich darauf einen neuen Job und ein neues, unterstützenderes Umfeld gesucht, denn solche Kämpfe auszutragen, lohne sich selten.
Grundsätzlich habe sie aber immer wieder erlebt, dass jemand im richtigen Moment an sie geglaubt hat. Beim dritten Kind wurde sie sogar noch während des Mutterschaftsurlaubs befördert. Sie rät Vorgesetzten, den Frauen etwas zuzutrauen, denn: «Jede Firma hat Kunden, und diese Kundschaft ist meistens genauso divers wie die Gesellschaft.» Um seine Kunden zu verstehen, müsse man die Perspektive wechseln können, und das gelinge am besten in einem diversen Team.