Hayden Williams, sitzt in einem Café unweit der New York University. Dort arbeitet er zusammen mit seinem Partner in der Uni-Bibliothek an seinem Startup. Ein eigenes Büro können sie sich noch nicht leisten.
Vor zwei Jahren sass Williams noch als Investmentbanker an der Wall Street. Mit rund hundert Arbeitsstunden pro Woche hatte er kaum Freizeit: «Die meisten Leute wissen, worauf sie sich einlassen, wenn sie ins Investment Banking gehen. Es ist ja bekannt, wie viele Stunden man dort arbeiten muss, und dass es ein hartes Geschäft ist. Ich wusste das auf jeden Fall.»
Eine kleine Revolution ohne Wirkung
Williams‘ damaliger Arbeitgeber war Merrill Lynch. Die Bank war 2012 wegen dem Tod eines ihrer Praktikanten in die Schlagzeilen geraten und für ihre Arbeitsbedingungen kritisiert worden. Ein Jahr danach scheint in der Branche nun ein Umdenken stattgefunden zu haben: In den letzten Wochen haben viele Banken an der Wall Street interne Mitteilungen verschickt, die junge Mitarbeiter dazu verpflichten sollen, mindestens vier Tage im Monat zu Hause zu bleiben. Das ist an der Wall Street tatsächlich keine Selbstverständlichkeit, sondern eine kleine Revolution.
Wirklich ändern werde das aber nichts, sagt Ex-Banker Williams. «Die Leute werden von zu Hause aus arbeiten oder andere Lücken finden, um das zu umgehen.» Williams hält es für wichtiger, eine Kultur der Transparenz zu schaffen. Man solle die Leute darüber informieren, was an der Wall Street wirklich bezahlt werde. «Jeder möchte gut bezahlt werden. Deswegen sind die meisten Leute im Investment Banking.» Viele arbeiteten die ganze Nacht durch, obwohl das oft gar nicht notwendig sei. Williams ist überzeugt, dass sie sich davon einen besseren Bonus erhoffen.
Er selbst hat inzwischen seinen sehr gut bezahlten Job gegen das unsichere Leben eines Startup-Gründers eingetauscht. Statt BMW fährt er heute Velo. Sein Apartment hat er gekündigt und er schläft zusammen mit seinem Mitgründer in einem Kajütenbett. Trotzdem ist er mit seinem neuen Leben glücklich, wie Williams sagt. «Ich wollte selber etwas aufbauen, mein Job hat mich nicht so richtig erfüllt. Also habe ich mich entschieden auszusteigen.»
Technologiebranche lockt mit besserem Leben
Dass sich die junge Generation der Wall-Street-Banker mehr für eine ausgewogene Balance zwischen Arbeit und Freizeit interessieren würde, kann Karriereberater Roy Cohen hingegen nicht erkennen: «Wenn es um die Wall Street geht, sind ihre Erwartungen sehr realistisch. Die jungen Banker wissen, was sie zu tun haben, um erfolgreich zu sein!» Cohen hat ein Buch darüber geschrieben, wie man an der Wall Street überleben kann - «The Wall Street Professional’s Survival Guide». Der Terminplan im New Yorker Finanzzentrum sei schon immer zermürbend und anstrengend gewesen. Nur die Kühnsten und Anpassungsfähigsten könnten dort überleben. «Das ist und bleibt die Kultur der Wall Street», stellt Cohen fest.
Das ist ein Lebensstil, den allerdings nicht mehr alle mitmachen wollen. Mit grossen US-Firmen wie Google, Apple und Co. hat die Finanzindustrie Rivalen auf der Suchen nach den besten Köpfen bekommen. Sie locken nicht nur mit guter Bezahlung, sondern versprechen auch ein besseres Leben, wie Cohen einräumt. «Gerade jetzt, wo an der Wall Street die Boni gekürzt werden, denken viele meiner Kunden darüber nach, ob sich der hohe Einsatz in den Finanzjobs noch lohnt.»
(aebn;roso)