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Rettungswagen
Legende: Wie ein medizinischer Fall verläuft, lässt sich durch Big Data in Regeln übersetzen. So arbeitet die neue Software. SRF

Wirtschaft Big Data gegen Betrug: Krankenkassen und Suva sparen Milliarden

Bislang prüften Kranken- und Unfallversicherer die Arzt- und Spitalrechnungen auf Medikamentenpreise und Tarife. Jetzt arbeitet die Suva mit einer neuen Software. Sie analysiert aus Millionen von Daten den typischen Verlauf medizinischer Fälle. Weicht ein Fall davon ab, schlägt das System Alarm.

Wie kontrolliert man 6 Millionen Arzt- und Spitalrechnungen jährlich, umgerechnet 30‘000 täglich? Manuell ein Ding der Unmöglichkeit. Deshalb greifen Krankenkassen wie die Luzerner Concordia auf eine spezielle Kontrollsoftware zurück. Diese elektronischen Fahnder im Datenmeer der Spital- und Arztrechnungen scannen die Rechnungen auf formale Richtigkeit: Gibt es die abgerechnete Leistung? Wurden die richtigen Medikamentenpreise eingesetzt, Tarife und Verträge eingehalten? Mit dieser Kontrollsoftware spart die Concordia heute 240 Millionen Franken.

Treibende Kraft hinter der Entwicklung der elektronischen Rechnungskontrolle ist die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt Suva. Sie arbeitet mit Krankenkassen wie der Concordia eng zusammen. Für Suva-Strategiemanager Rolf Schmidiger stösst die bestehende Software allerdings an ihre Grenzen: «Die Systeme sind ausgereizt, die Regeln bekannt und Spitäler und Ärzte wissen was geprüft wird.»

Das Zauberwort heisst «Big Data»

Deshalb geht Suva-Manager Rolf Schmidiger jetzt einen Schritt weiter und lässt die Kontrollsoftware weiterentwickeln. Sie analysiert den Verlauf ganzer medizinischer Fälle . «Wir haben beispielsweise 50‘000 Knieverletzungen im Jahr. Deren Therapie verläuft immer ähnlich. Meldet jemand eine Knieverletzung, die nicht in dieses Muster passt, so wird diese Rechnung genauer unter die Lupe genommen»

Zu den medizinischen Leistungen bei einer Knieverletzung gehören beispielsweise Röntgen, Thrombose- und Schmerzmittel. Verrechnet ein Leistungserbringer auch ein Blutdruck- oder Herzmedikament, so schlägt das Kontrollprogramm Alarm. Die Rechnung wird genauer geprüft und allenfalls an Arzt oder Spital zurückgewiesen. Das Zauberwort heisst «Big Data»: Die Wissenschaft, mit der man aus Millionen von Daten neue Erkenntnisse gewinnt.

Datenschutz-Bedenken hat Rolf Schmidiger keine: Alle Daten, die den Patienten identifizierten, seien nicht relevant. Er sagt: «Die Muster, die wir generieren, sind eine anonymisierte Modellvorstellung, was bei bestimmten Verletzungsarten an Therapie-Verhalten passiert.»

Die Zürcher Informatikfirma Elca programmiert die neue Kontrollsoftware im Auftrag der Suva. Mit 700 Mitarbeitern zählt die Elca zu den Grossen im Schweizer Softwaregeschäft. «Das System ist vor allem darauf optimiert, Abrechnungen zu erkennen, die falsch sind», sagt Felix Musterle. Er leitet die Abteilung Gesundheit und Versicherungen der Elca und ortet dank der Kontrollsoftware ein grosses Einspar-Potenzial.

Zukunftsangst Cyberkriminalität

Rechnungen fotografieren

Box aufklappen Box zuklappen

Das Informatik-Unternehmen Elca erarbeitet für die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt Suva eine App für das Handy. Rechnungsempfänger werden Arzt- und Spital-Rechnungen fotografieren können, die App wird die Daten in verständliche und lesbare Informationen übersetzen.

Das Projekt läuft unter dem Stichwort «Fraud Detection», also Betrugserkennung. Bei der Krankenkasse Concordia läuft ein Pilotversuch mit der neuen Software. Ab 2016 soll sie routinemässig sämtliche Abrechnungen durchleuchten.

Für Jürg Vontobel, Mitglied der Geschäftsleitung, geht es um weit mehr als fehlerhafte Abrechnungen. In Zukunft werde das Thema Cyberkriminalität für das Gesundheitswesen eine grosse Herausforderung sein: «Allein letztes Jahr haben die Krankenkassen 30 Milliarden Franken bezahlt für medizinische Behandlungen. Das wird zwangsläufig Betrüger, bis hin zu organisierter Kriminalität, auf den Plan rufen.»

Laut Jürg Vontobel sparen die Krankenversicherer dank bestehender Kontrollsoftware 3,5 Milliarden Franken. Ihre Weiterentwicklung werde diese Summe um mindestens weitere 200 Millionen Franken erhöhen.

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