Jahrelang rechneten Pensionskassen mit einem technischen Zins von vier Prozent. Sie nahmen an, auf den Altersguthaben der Rentner liessen sich im Durchschnitt vier Prozent Rendite erzielen. Ausgehend davon, leitete sich auch der politisch höchst umstrittene Umwandlungssatz oder die Höhe des Kapitalstocks ab. Dann kamen die Jahre mit historisch tiefen Zinsen.
Die bisherigen vier Prozent erwiesen sich damit als zu optimistisch, sagt Martin Janssen. Er ist Finanzprofessor an der Universität Zürich. «Eine Pensionskasse ist weder eine Gelddruckmaschine noch ein Zauberinstitut. Sie muss am Kapitalmarkt teilnehmen und kann nicht mehr verteilen, als sie dort erzielt», sagt er.
Die Expertenkammer der Schweizerischen Pensionskassen-Fachleute empfiehlt inzwischen einen technischen Zins von drei Prozent. Das sei immer noch zu viel, sagt Janssen. In Zeiten, da sichere Anlagen wie Bundesobligationen nur noch gerade ein Prozent Zins abwerfen, müsste der technische Zins ähnlich tief sein. Alles andere sei unseriös. «Es kann nicht sein, dass die Rentner immer schön drei oder vier Prozent Rendite auf ihrem Alterskapital haben und die Erwerbstätigen dann sanieren.»
«Drei bis dreieinhalb Prozent sind machbar»
Doris Bianchi ist Pensionskassen-Spezialistin beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Sie wirft Janssen Schwarzmalerei vor. Drei bis dreieinhalb Prozent seien realistisch und machbar, sagt sie. «Der technische Zins ist eine langfristige Zinsannahme für die nächsten 20 Jahre. Da wäre es übertrieben, jetzt auf eine ewige Tiefzinsphase zu setzen.»
Auch der Stilllegungsfonds für Atomkraftwerke rechne mit einer langfristigen Rendite von dreieinhalb bis fünf Prozent. Pensionskassen dürften deshalb ähnlich kalkulieren, ist die Gewerkschafterin überzeugt.
Pensionskassen wollen Zins senken
Allerdings geht der Trend in die andere Richtung: Viele Pensionskassen wollen lieber auf der sicheren Seite sein. Jede Vierte plant den technischen Zinssatz zu senken, wie das Resultat einer Umfrage des Beratungsunternehmens Towers Watson bei grösseren Schweizer Kassen zeigt.
Dies hat weitreichende Folgen, denn ein tieferer technischer Zins kostet zusätzliches Vorsorgekapital. Über den Daumen gerechnet muss eine Pensionskasse den Kapitalstock um fünf Prozent erhöhen, wenn sie den technischen Zins um einen halben Prozentpunkt senkt. «Für die Jüngeren heisst das höhere Beiträge an die Pensionskassen», sagt Bianchi. Das sei eine Beitragslast, die für die Leute schwer wiege.
Milliarden fehlen
Es geht um Milliarden, rechnet doch ein Drittel der privaten Pensionskassen nach wie vor mit einem technischen Zins von über dreieinhalb Prozent. Bei den Kassen mit Staatsgarantie sind es sogar zwei Drittel. Würden alle von ihnen nur noch mit drei Prozent kalkulieren, bräuchten sie in den nächsten 20 Jahren rund 15 Milliarden an zusätzlichen Vorsorgegeldern. Das schätzt der Gewerkschaftsbund.
Ein solcher Zusatzaufwand würde das System der 2. Säule in Frage stellen, sagt Doris Bianchi. «Über eine gewisse Zeit muss vielleicht ein grösserer Kapitalstock gebildet werden. Aber wenn das die längerfristige Zukunft der 2. Säule ist, dann muss man auch den Mut haben zu fragen, ob das ein zukunftsträchtiges Vorsorgemodell ist.»
Viele Pensionskassen befinden sich also in einer sehr ungemütlichen Situation. Die guten Erträge, die viele von ihnen letztes Jahr erwirtschaftet haben, überdecken die strukturellen Probleme höchstens kurzfristig.