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Die Skyline der Wirtschaftsmetropole Frankfurt, das so genannte «Mainhattan»
Legende: Immer höher, immer weiter, wie im Frankfurter «Mainhattan»? Maxton sieht die Grenzen des Wachstums erreicht. Reuters

Wirtschaft «Europa muss ein neues Wirtschaftssystem aufbauen»

Die Wirtschaft stagniert in weiten Teilen Europas. Um dagegen anzukämpfen, hat die Europäische Zentralbank die Zinsen deutlich gesenkt – und flutet die Märkte mit riesigen Mengen an Geld. Das Ziel: Wachstum. Der Ökonom Graeme Maxton sieht darin eine verfehlte Politik und fordert ein Umdenken.

Die Wirtschaft stagniert in weiten Teilen Europas. Um dagegen anzukämpfen, hat die europäische Zentralbank nicht nur extrem tiefe Zinsen beschlossen, sondern flutet die Märkte auch mit riesigen Mengen Geld. Das Ziel: Wachstum.

SRF News: Was halten sie von der Wachstumspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB)?

Graeme Maxton: Ich verstehe, warum die EZB es gemacht hat, aber für mich ist es sinnlos. Denn Wachstum schafft keine Arbeitsplätze. Wir denken, dass Wachstum eine Quelle von Arbeitsplätzen sei, aber das ist nicht wahr – seit dreissig Jahren nicht. Wir müssen Arbeitsplätze schaffen, aber nicht durch Wachstum. Die Leute könnten beispielsweise weniger arbeiten, vielleicht nur vier Tage pro Woche oder nur vierzig Wochen im Jahr. So, dass wir neue Arbeitsplätze schaffen können.

Das würde aber heissen, dass die Einzelnen weniger Geld zur Verfügung hätten?

Ja, aber das bedeutet nicht, dass sie weniger Lebensqualität hätten. Mehr Lebensqualität kann auch ohne Wachstum erreicht werden. Wir denken heute, dass Wachstum eine Lösung für alle unsere Probleme ist. Aber eigentlich ist es die Quelle aller unserer Probleme.

Andererseits versuchen alle, ihren Lebensstandard mindestens zu halten oder zu verbessern. Wären Sie denn bereit, Ihren Gürtel enger zu schnallen?

Zur Person

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Der Ökonom Graeme Maxton ist Generalsekretär des Club of Rome. Die Organisation wurde mit dem Buch «Die Grenzen des Wachstums» berühmt. Das globale Netzwerk rund 100 unabhängige Denker. Vor seiner aktuellen Tätigkeit war der Ökonom Maxton unter anderem Regionaldirektor der Economist Intelligende Unit in Asien.

Ja. Nehmen Sie das Bruttoinlandprodukt von ganz Europa und teilen Sie es auf alle Einwohner auf: Wir alle hätten dann ein akzeptables Einkommen. Es ist keine Frage des Wachstums, sondern der Verteilung. Und in Zukunft können wir nicht mehr so viel Wachstum haben. Die Anzahl der Menschen, die arbeitsfähig sind, nimmt ab. Europa muss ein neues Wirtschaftssystem aufbauen.

Wenn aber Europa oder auch die USA eine Stagnation oder einen Rückgang des Wachstums einfach akzeptieren, dann überholt uns China, weil wir nun mal in einem Wachstumswettbewerb stehen. China macht das ja auch nicht umwelt- oder sozialverträglicher.

Die Chinesen haben ebenfalls das Problem mit zu wenigen Arbeitskräften in Zukunft, wegen ihrer Ein-Kind-Regelung. Neben einem absehbaren Arbeitskräftemangel haben sie auch Umweltprobleme, aber das ist ein anderes Thema.

Die Weltbevölkerung wächst. Wie soll man denn die Leute ernähren ohne Wirtschaftswachstum?

Vor 100 Jahren haben wir problemlos ohne stetiges Wachstum gelebt. Das Problem ist, dass zu viel Geld einem kleinen Teil der Menschen gehört. Es gibt ein Prozent der Leute, die sehr reich sind und 99 Prozent, die nicht genug haben. Davon hängt die Lösung unserer Probleme ab.

Sie sagen also, wir haben kein Wachstumsproblem, sondern ein Problem mit der wachsenden Ungleichheit?

Ja, genau. Das Problem ist die Ungleichheit – in Europa und auf der ganzen Welt.

Drei politisch realistische Schritte hin zu einem neuen, einem intelligenteren Wachstum?

Wir brauchen Politiker, die neue Regeln setzen können. Wir brauchen ein freies Marktsystem, sicher, aber kein unkontrolliertes. Es braucht diese Regeln, um unser Wirtschaftssystem kontrollieren zu können. Und momentan gibt es zu wenige davon. Es ist beispielsweise nicht in Ordnung, wenn eine Firma alles in China produzieren lässt. Wenn Firmen nur auf unbezahlte Praktikanten zurückgreifen, ist das auch nicht in Ordnung. Arbeitsplätze sind wichtiger als Wachstum.

Wir denken heute, dass Wachstum eine Lösung für alle unsere Probleme ist. Aber eigentlich ist es die Quelle aller unserer Probleme.

Das heisst, Sie wollen zurück zu einem grösseren Protektionismus?

Sicher zu mehr Protektionismus als im Moment.

Der Club of Rome, dessen Generalsekretär Sie sind, plädiert schon seit vierzig Jahren für ein nachhaltigeres Wachstum. Wieso ist die Politik so taub?

In diesen vierzig Jahren sind die Politiker schwächer geworden. Sie haben ihre Seele dem Markt verkauft. Sie denken nicht an die Lebensqualität der Bevölkerung, sie denken nur an Wachstum und nur an die grossen Firmen. Sie müssen ein neues Mittel finden, um ein anderes, ein besseres Wachstum zu ermöglichen.

Braucht es da nicht eine Portion Selbstkritik der Wachstumskritiker? Dass sie zu wenige konkrete, realistische und kleine Schritte vorgeschlagen haben?

Es aktuelle Situation ist sicher schwierig. Wenn wir jetzt weniger Wachstum haben, kommen wir sehr schnell in eine grössere Wirtschaftskrise. Wir haben so etwas wie eine Tretmühle geschaffen und einen anderen Weg zu finden, wenn wir da drauf sind, ist nicht einfach. Wir brauchen eine neue Art von Politikern, die verstehen, dass wir neue Wege finden müssen.

Das Gespräch führte Roman Fillinger.

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