Das Nestlé-Forschungszentrum in Vers-chez-le-Blanc ist idyllisch am Stadtrand hoch über Lausanne gelegen. 600 Forscherinnen und Forscher aus 50 Ländern tüfteln hier an neuen Rezepturen für Süssgetränke und Frühstücksflocken, für Glacen und Tiefkühlpizza. Hier findet ein internationaler Kongress über Ernährung, Übergewicht und Gesellschaft statt.
«Ziel ist es, die Wissenschaftler auf dem aktuellen Stand auch zu Nestlé zu bringen sagt der Leiter des Forschungszentrums, Thomas Beck. Nestlé forsche selbst auf dem Gebiet der Ernährungsgesundheit. «Für uns ist es wichtig zu verstehen, welchen Beitrag die Food-Industrie leisten kann und wie Nestlé die Forschung ausrichten soll», ergänzt Beck.
Wer sich gesundes Essen leisten kann…
Übergewicht hat viel mit Ernährungsgewohnheiten zu tun. Und diese werden auch durch soziale Faktoren beeinflusst, wie Professor Adam Drewnowski von der Uni Washington anhand seiner Untersuchungen in Seattle aufzeigt: Es gebe einen klaren Zusammenhang zwischen Armut, Bildung und Übergewicht: Je ärmer und ungebildeter, desto ungesünder ernährten sich die Menschen, weil sie sich gesünderes Essen nicht leisten könnten.
Nestlé-Forschungsleiter Beck schliesst aus dem Befund: «Wir müssen einfach die Qualität der Lebensmittel von der nutrititionellen Zusammensetzung her verbessern. Das ist eine unserer Hauptstossrichtungen, wo wir beitragen wollen.»
Nestlé tut in der Tat einiges: Veranstaltet Kongresse zum Thema Übergewicht. Platziert auf der Website prominent Gesundheits- und Ernährungstipps. Verzichtet auf Werbung, die direkt an Kinder gerichtet ist. Steckt weniger Salz, Fett, Zucker in ausgewählte Produkte.
Wenig Nutzen – grosser Werbeeffekt?
Das ist ganz im Sinn von Thomas Mattig, dem Direktor der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz: Die Industrie erkenne immer mehr, dass sie auch Teil des Problems sei und ergreife erste Massnahmen.Ob hier ein tatsächliches Umdenken stattfinde, werde sich aber noch weisen.
Auch Sara Stalder von der Stiftung für Konsumentenschutz skeptisch: Als reine Alibi-Übung will sie die Bestrebungen der Nahrungsmittelindstrie nicht abtun. Allerdings hätten solche Aktionen auch einen sehr hohen Werbeeffekt. Sie vermutet, dass dieser Aspekt für Nestlé wichtiger ist als die eigentliche Gesundheitsförderung.
Weniger Zucker, aber immer noch zuviel
Wenn es ans Eingemachte gehe, wehre sich die Industrie gegen griffige Massnahmen, kritisiert Stalder. Ein vor zwei Jahren mit der Nahrungsmittelindustrie gestartetes Projekt für mehr Transparenz in verarbeiteten Produkten sei im Sand verlaufen.
«Die verwendeten Rohstoffe und die Nährstoffe in einem verarbeiteten Produkt werden oft so dargestellt, dass man fast nicht versteht, was wirklich verarbeitet wurde», stellt Stalder fest.
So wirbt Nestlé etwa am Fernsehen für einen neuen Eistee mit 30 Prozent weniger Zucker. Doch auch das neue, zuckerreduzierte Rezept enthält noch immer drei bis bis vier Stück Würfelzucker pro Viertel-Liter-Flasche.
Natur statt Labor?
Ganz ohne Zucker gehe es eben auch nicht, die Industrie richte sich natürlich auch nach der Nachfrage, sagt Nestlé-Vertreter Beck. Nestlé renoviere aber jedes Jahr tausende von Rezepten, um Salz und Kaloriengehalt weiter zu reduzieren: «Das machen wir sehr öffentlich und hoffen natürlich auch, dass es keine Schaufensterdekoration ist, sondern ein echter Effort, um die Ernährungslage zu verbessern.»
Noch besser wäre natürlich Leitungswasser statt zuckerreduziertem Eistee, wären Äpfel und Gemüse statt industriell fabrizierter Snacks und Tiefkühl-Ware: Das jedenfalls empfiehlt Gesundheitsförderer Mattig. Er muss immer immer wenig schmunzeln, wenn die Industrie im Labor nach gesunden Produkten sucht, wo diese doch im Garten wachsen und nicht künstlich hergestellt werden müssen.
«Doch ein Konzern wie Nestlé will eben seine Produkte verkaufen und nicht den Verzicht predigen», sagt Mattig. Deshalb wollen Konsumentenschützer und Gesundheitsorganisationen wachsam bleiben – um zu sehen, ob es Fortschritte gibt oder vor allem viele schöne Versprechen.