Die Meldungen von Unternehmen, die künftig verstärkt im Ausland forschen wollen, springen ins Auge. Christof Burkard, stellvertretender Geschäftsführer des Verbandes Angestellte Schweiz, nennt sofort mehrere Beispiele: «Ein wichtiges ist jüngst Bernafon, eine schwarze Zahlen schreibende, funktionierende, wachsende Unternehmung.» Ein anderes Beispiel sei die Mitel AG in Solothurn: «Auch die haben noch in diesem Jahr einen Teil der Forschungsabteilung nach Indien verlegt.»
Der Berner Hörgerätehersteller Bernafon und das Solothurner Telekomunternehmen gehören ausländischen Konzernen. Solche Meldungen seien kein Zufall: «Das ist ein wenig typisch. Wenn Schweizer Forschungsabteilungen in ausländische Unternehmungen eingegliedert sind, haben sie es aufgrund der feststellbaren höheren Kostensätze schwer, sich innerhalb des Konzerns zu behaupten.»
Standort Schweiz «nicht bei den Gewinnern»
Die Verlagerung von Forschungsplätzen sei eine neuere Entwicklung, sagt Burkard, der vor allem Angestellte aus der Industrie, der Chemie- und der Pharmabranche vertritt. Diese Entwicklung bestätigt auch Beat Hotz-Hart. Der emeritierte Wirtschaftsprofessor der Universität Zürich und frühere Vizedirektor für Berufsbildung und Technologie beim Bund macht sich entsprechend Sorgen um den Forschungsstandort Schweiz.
«Es ist relativ gefährlich. Weil es ein schleichender Prozess ist, sind sich viele Leute, auch Politiker, nicht bewusst, was hier eigentlich abläuft.» Es sei ein schleichender Prozess, weil es nicht reihenweise grosse Schlagzeilen von Stellenverlagerungen gibt, die die Politik wachrütteln könnten, so Hotz-Hart. «Es ist denn auch weniger ein Abbau am Standort Schweiz, als ein Aufbau von neuen Aktivitäten an ausländischen Standorten. Es ist also nicht so, dass wir bestraft werden durch den Abbau, sondern wir sind nicht bei den Gewinnern beim Aufbau in neuen Gebieten.»
Verlagern der Forschung statt neu aufbauen
Das zeigt auch der Blick in die Statistik: Gerade grosse, exportorientierte Firmen investieren mittlerweile gut jeden zweiten Franken ihrer Forschungsgelder im Ausland, sagt Martin Wörter von der ETH-Konjunkturforschungsstelle KOF: «Wir sehen es in der Statistik, dass im Ausland bereits Bestehendes vielleicht etwas ausgebaut wird. Was ich allerdings nicht glaube, ist, das Firmen jetzt neu anfangen, Forschung und Entwicklung im Ausland aufzubauen.» Das sei für viele kleine Schweizer Unternehmen schlicht zu aufwändig, zu teuer und zu riskant.
Es gibt verschiedene Gründe, warum Unternehmen Forschungsplätze lieber im Ausland ansiedeln. Oft wird mit den hohen Kosten in der Schweiz argumentiert. Doch das ist laut Hotz-Hart höchstens die halbe Wahrheit: «Wenn gute Forschung geleistet wird, ist das für einen Konzern auch kein Kostenfaktor. Es geht um neues Wissen und Innovationen. Damit kann man auch wirtschaftlichen Erfolg erzielen.»
Damoklesschwert: Ausschluss von Horizon 2020
Wichtiger als der starke Franken ist laut Hotz-Hart der Zugang zu guten Forschern und Forschungsprogrammen. Mit Blick auf die jüngsten politischen Entscheide fürchtet der Experte, dass sich die Schweiz von der Aussenwelt abschottet. Den Anschluss ans EU-Forschungsprogramm Horizon 2020 droht die Schweiz ab 2017 zu verlieren, und im Zug der Zuwanderungs-Initiative fällt es Konzernen bereits heute schwerer, genügend ausländische Spitzenforscher zu bekommen.
Darüber hat sich jüngst Roche-Chef Severin Schwan öffentlich beklagt. Er, der eines der weltweit forschungsintensivsten Unternehmen leitet und seine Schweizer Labors laufend ausbaut, ist auf ausländische Forscher angewiesen. Die Sorgen um den Forschungsstandort Schweiz sind also vielfältig – auch wenn sich die Schweiz in der internationalen Innovations-Rangliste noch immer an der Spitze hält.