Es war ein kleines Jubiläum am 9. Juli: Der 250. Migrolino-Shop öffnete im aargauischen Reinach seine Türen: im Angebot ein reduziertes Migros-Sortiment mit Kaffee und Kiosk-Artikeln, daneben eine Migrol-Tankstelle.
Geleitet wird der Shop nicht von einem Migros-Filialleiter, sondern von einem Geschäftsführer, der auf eigene Rechnung wirtschaftet und selber Personal anstellt, um die langen Öffnungszeiten – 365 Tage im Jahr von 6 Uhr früh bis 22 Uhr – abzudecken.
Nach demselben Konzept betreibt der grosse Rivale Coop 261 Pronto-Shops. Auch der Detailhändler Spar wirbt auf seiner Homepage mit einem zufriedenen Franchise-Nehmer: «Was mich am meisten überzeugt beim Spar-Konzept, ist, dass wir mit wenig Risiko sehr erfolgreich sein können. Ich hoffe, wir sehen uns bald als Kollegen.»
Trend bei Tankstellen- und Bahnhofshops
110 von 180 Spar-Standorten in der Schweiz werden von selbständigen Franchise-Nehmern geführt. Diesen Trend hin zum Franchising hat Philipp Dubach vom Berner Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien, Bass, analysiert: «In der jüngeren Vergangenheit konnte man beobachten, dass vor allem im Convenience-Bereich, also bei Tankstellen- und Bahnhofshops und bei kleinflächigen Betrieben an stark frequentierten Lagen, die Expansion über Franchising geschah.»
Denn man könne mit Franchising ein bewährtes Konzept rasch, flexibel und dezentral an neuen Standorten umsetzen: «Der Franchise-Geber gibt Know-How, stellt eine Marke zur Verfügung, macht Schulungen. Es kommt dann sehr genau darauf an, wie die Konditionen im Detail sind», so Dubach.
Gefahr von tieferen Löhnen für Angestellte
Es dürfe aber nicht sein, dass der Franchise-Geber bloss das unternehmerische Risiko auslagere, betonen sowohl Dubach als auch die Auftraggeberin der Studie, Natalie Imboden. Sie ist bei der Gewerkschaft Unia zuständig für den Detailhandel. «Früher war es so, dass in einer Filiale der Filialleiter auch angestellt war», erklärt Imboden. «Heute ist es so, dass er eigentlich keinen Lohn mehr hat, sondern selber Unternehmer ist.» Oft sei es so, dass er den Druck an die Beschäftigten weitergebe. «Denn wenn die Beschäftigten weniger verdienen, bleibt der Gewinn bei ihm. Das sind dann ungleiche Spiesse.»
Deshalb bestehe die Gefahr, dass die Angestellten tiefere Löhne erhielten und länger und unregelmässig arbeiten müssten, sagt die Gewerkschafterin. «Das Schwierige ist, dass selbst die Kunden das nicht merken. Wenn ich in einen Laden gehe, wo ein M draufsteht, nehme ich an, dass auch ein M drin ist. Aber bei den Arbeitsbedingungen gilt das eben nicht.» In der Tat sind die Beschäftigten in den Franchise-Betrieben nicht den Gesamtarbeitsverträgen von Migros oder Coop unterstellt – bei Spar gibt es keinen GAV.
Bald Verhandlungen über GAV
Doch es gibt Bewegung: Der Verband der Tankstellenshops hat angekündigt, dass er mit den Gewerkschaften Unia, Syna und KV einen Gesamtarbeitsvertrag aushandeln will. Coop und Migros unterstützen dies ausdrücklich, wie Migrolino-Unternehmensleiter Markus Lenzlinger sagt. «Das ist unser grösstes Interesse, dass wir einen solchen GAV hinkriegen. Ich glaube, alle Konzeptgeber sind interessiert daran, aber auch die Betreibenden dieser Tankstellen. Sie sind immer wieder in der Kritik wegen niedrigen Löhnen. Letztendlich möchten wir das geregelt haben, damit hier Ordnung herrscht und es zu einer Beruhigung kommt.»
Der neue GAV würde zwar längst nicht für alle Franchise-Betriebe gelten. Doch immerhin könnte er für die rund 14'000 Angestellten der Tankstellenshops bessere Arbeitsbedingungen bringen. Im Gegenzug müssten die Kunden wohl bereit sein, ein bisschen mehr zu bezahlen, wenn sie abends um neun noch schnell etwas einkaufen wollen.