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Verschiedene Medienträger auf einem Bild versammelt.
Legende: Medien sollten laut de Botton vertiefter berichten, statt nur möglichst schnell irgendwelche News aneinander zu reihen. Keystone

Wirtschaft Lieber tiefer schürfen als bloss Tempo bolzen

Katastrophen, Todesopfer und Krisen beherrschen die Medien. Diese Art des Journalismus müsse sich ändern, fordern zwei völlig unterschiedliche Autoren. Stattdessen müssten Erklärungen und das Positive mehr in den Fokus rücken. Es gehe nicht zuletzt auch um die Demokratie.

In der Medienlandschaft von heute gibt Online das Tempo vor, Fernsehen und Radio ziehen nach. Meldungen im Minutentakt, Breaking News, Liveticker. Jederzeit geschieht irgendwo etwas, das eine Schlagzeile hergibt.

Nur das Tempo zählt

Der dauernde mediale Nachrichtenstrom vermittle nur ein oberflächliches Bild des Weltgeschehens, gibt der schweizerisch-britische Philosoph Alain de Botton zu bedenken: «Wer aus Angst, etwas zu verpassen all die News mitverfolgt, ist zwar informiert über Vieles, versteht aber nur Weniges.» Denn die meisten wichtigen Entwicklungen gingen langsam, schleichend voran, sagt de Botton.

Doch in der heutigen Medien-Realität werde das Tempo immer wichtiger. Dieser Entwicklung könnten sich auch Qualitätsmedien Medien wie etwa eine «Neue Zürcher Zeitung kaum noch entziehen. «Sie wird zunehmend bedroht durch die Ideologie der Geschwindigkeit.»

Die Bücher:

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Alain de Botton: «Die Nachrichten – eine Gebrauchsanweisung», Fischer Taschenbuch, 2015.

Ulrik Haagerup: «Constructive News», Verlag Johann Oberauer, 2015.

Wer versteht noch die Zusammenhänge?

Tempo statt Verständnis, schneller berichten anstatt tiefer zu schürfen: Diese Logik der Medien habe zur Folge, dass viele Medienkonsumenten das Weltgeschehen bloss noch als Mosaik von zusammenhanglosen, zufällig zusammengewürfelten News-Fragmenten wahrnehmen würden, befürchtet de Botton.

Die dauernden Schreckensmeldungen über Klimawandel und Griechenland-Krise, über Syrien-Konflikt und IS-Terror sorgten dafür, dass viele Menschen abstumpften und das Interesse an diesen Themen verlören. Oder aber – wie Chefredaktor Ulrik Haagerup vom dänischen Rundfunk – sagt: «Viele Medienkonsumenten haben ein viel zu negatives Bild von der Welt.» Denn global gehe es der Menschheit besser als früher. Es gebe mehr Wohlstand, Gesundheit und Sicherheit für die meisten Menschen.

Auch Lösungsansätze aufzeigen

Für Haagerup geht es beim Medienauftrag deshalb nicht darum, dem Publikum Angst einzujagen, sondern den Menschen und der Gesellschaft zu helfen, ihre Lage besser zu verstehen. Das heisse nicht, dass nur noch «Good News» zu bringen ist. Man müsse auf Probleme hinweisen – aber auch Lösungsansätze und gute Beispiele recherchieren. Anders gesagt: «Mit beiden Augen sehen – und nicht nur mit einem.»

Die Diskussion um guten Journalismus ist nicht neu, sie hat jetzt aber auch im deutschsprachigen Raum wieder Fahrt aufgenommen. Gerade sind die Bücher von Haagerup und de Botton auf Deutsch erschienen.

Kritische Grundhaltung unabdingbar

Auch der Chefredaktor der «SonntagsZeitung», Arthur Rutishauser, verfolgt die Diskussion. Über Lösungsansätze, positive Entwicklungen und Erfolgsmodelle berichte die «SonntagsZeitung» durchaus auch heute schon, sagt er. Denn gerade am Sonntag wolle das Publikum nicht nur von Mord und Totschlag lesen.

Doch gleichzeitig ist für ihn klar, dass sich Medienschaffende nicht einspannen lassen dürfen; für welchen Zweck auch immer. Eine kritische, skeptische Grundhaltung gehöre zur Grundausstattung jedes Journalisten: «Es gibt in er Politik und der Wirtschaft ja riesige PR-Abteilungen, die positive News zu verbreiten suchen und alles schönreden. Da braucht nicht auch der Journalist nochmals alles schönzureden», betont Rutishauser.

Vorbild Shakespeare

Von Schönreden spricht auch Alain de Botton nicht, wenn er fordert, die Medien müssten bessere Geschichten bringen. Es gehe ihm darum, dass Themen besser erzählt, erklärt und die Menschen auch für schwierige Themen begeistert werden. «Wer sein Publikum langweilt, gefährdet letztlich die Demokratie.» Denn diese sei darauf angewiesen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger auch für die schwierigen Themen der Politik interessierten.

Schliesslich habe seinerzeit auch Shakespeare, als er den Hamlet geschrieben habe, nicht einfach Fakten aneinandergereiht, sondern sich lange überlegt, wie er diese Geschichte erzählen wolle: «Mit überraschenden Wendungen, mal humorvoll, dann wieder ernst». So habe Shakespeare seine Botschaft rübergebracht. Auch heute noch könnten die Medienschaffenden von Shakespeare lernen, ist de Botton überzeugt.

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