SRF News Online: Etablierte Airlines wie Swiss und Lufthansa versuchen, mit Billigstrategien gegen den wachsenden Konkurrenzdruck vorzugehen. Kann das funktionieren?
Jürgen Pieper, Luftfahrtanalyst: Die Airlines folgen hier einem Trend, den der Markt vorgibt. In Europa wächst der Anteil der Billiganbieter unverändert weiter. Er liegt jetzt bei knapp 50 Prozent. Um dieser veränderten Nachfrage hinterherzulaufen, werden derartige Angebote jetzt auch von etablierten Airlines ständig erhöht. Es geht eigentlich darum, vermeintlichen Trends gerecht zu werden.
Sie formulieren das selbst sehr vage. Glauben Sie, dass dieses Hinterherlaufen die richtige Strategie ist für Airlines wie Swiss und Lufthansa?
Ich glaube, grosse Airlines haben gar keine Wahl. Wenn der Markt für besseren Service und höherwertige Reisen weiter zurückgeht, haben sie eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Sie müssen schrumpfen, was ja eigentlich niemand will. Oder sie müssen versuchen, weiter zu wachsen und damit auch auf die Karte Billigflug setzen.
Besteht nicht auch die Gefahr, dass die Airlines mit solchen Billigangeboten die eigenen starken Marken kaputtmachen?
Idealerweise decken sie verschiedene Segmente mit unterschiedlichen Marken aus. Lufthansa baut dafür jetzt die Marke Germanwings aus, in Zukunft wird wohl auch Eurowings eine grössere Rolle spielen . Erfahrungsgemäss ist es dem Kunden relativ egal, welche Marken zu einem Konzern gehören, solange sie ihm ein gescheites Angebot liefern. Ob Germanwings zum Lufthansa-Konzern gehört, interessiert wahrscheinlich 98 Prozent der Kunden nicht.
Hat sich der Kunde in dieser Hinsicht geändert?
Nein. Ich vergleiche das manchmal mit dem Volkswagen-Konzern, der von Bugatti bis Seat alles liefert. Viele Kunden wissen sogar, dass es im Einzelnen Teile gibt, die in verschiedenen Marken verwendet werden. Aber solange das Angebot gut ist, solange das Produkt einen guten Gegenwert bietet, ist das den meisten Kunden egal.
Was sind die grössten Baustellen bei Swiss und Lufthansa?
Das Problem der Billigairlines ist jetzt seit fünf bis zehn Jahren existent. Es war so lange akzeptabel, wie das eigentliche Kerngeschäft – Langstrecken- und Geschäftsflüge – robust war. Allerdings kommt auch dieser Bereich zunehmend unter Druck – durch steigendes Preisbewusstsein der Kunden, stärker aber noch durch neue Anbieter, die teilweise extrem stark wachsen. Damit gerät nun das gesamte Geschäftsmodell ins Wanken, inklusive der Teile, die bisher eigentlich gut aussahen.
Konkurrenz gab es aber auch früher schon. Warum rütteln die asiatischen Airlines den ganzen Markt auf?
Grundsätzlich ist gegen neue Anbieter nichts einzuwenden. Das gibt es immer wieder, es gehört dazu. Aber hier werden gerade so enorme Kapazitäten aufgebaut, dass das Wachstum eigentlich vorprogrammiert ist. Schauen Sie sich nur einmal die gigantischen Flugzeugbestellungen an. Zwar wächst das gesamte Airline-Geschäft auch um vier, fünf Prozent, aber lange nicht so stark, dass es diese zusätzlichen Kapazitäten verdauen könnte. Es kommt also zu einem Verdrängungswettbewerb, der ständig stärker wird.
Kann man da überhaupt mithalten?
Das geht nur, wenn das eigene Angebot mindestens so gut ist wie das des Wettbewerbers – bei Preisen und Leistungen. Letztlich funktioniert das aber nur, wenn ich meine Kosten senke. Das ist meistens der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg.
Die etablierten Airlines in Europa beklagen immer wieder die ungleichen Wettbewerbsbedingungen gegen die staatlich teils massiv subventionierten Airlines aus Asien. Sollte sich der Staat auch in Europa wieder mehr einmischen?
Ein Eingreifen wäre grundsätzlich sicher verkehrt. Aber der Staat sollte sich zumindest wieder auf eine neutrale Rolle zurückziehen.
Fakt ist, dass er in vielen europäischen Ländern eher eine negative Rolle einnimmt. Ganz speziell tut er das in Deutschland, wo vor dreieinhalb Jahren die Luftverkehrssteuer eingeführt wurde.
Für die beiden grossen deutschen Airlines Lufthansa und Air Berlin ist das eine viel grössere Belastung als für die Wettbewerber, weil sie natürlich viel mehr deutsche Kunden haben. Beide bezahlen zusammengerechnet rund eine Milliarde Euro im Jahr nur an Luftverkehrssteuer. Die werden weitergeleitet an die Kunden, was die Ticketpreise in die Höhe treibt. Dazu ist die Infrastruktur sehr teuer, Ausbauten sind sehr schwierig – das macht Flughafenkapazitäten teuer. Und auch hier könnte teilweise die öffentliche Hand eine neutrale Rolle einnehmen und nicht eine, die die Bedingungen noch verschärft. Das wäre angemessen.
Wo sind die grossen Stärken von Airlines wie Swiss und Lufthansa?
Ihre Stärken liegen nach wie vor in den gehobenen Klassen und Kategorien. Trotz des wachsenden Einflusses der Billigflieger gibt es durchaus noch einen etablierten Markt für Business- und First-Class-Reisen. In diesem Markt sind Lufthansa und Swiss absolut stark – ich denke, beide sind unter den Top 5 in Europa.
Beide Markennamen sind sehr gut. Und beide sind heute finanziell gesund, auch wenn das bei Swiss jahrelang nicht der Fall war. Sie haben sicherlich eine gute Struktur, einen guten, vielleicht sogar sehr guten Markennamen und eine Stärke in den gehobenen Preiskategorien. Gut zahlende Kunden wollen sicher auch Swiss und Lufthansa fliegen; das ist eine Präferenz, die man so lange hat, wie es keinen zu grossen Service- oder Preisnachteil gibt. Und den sehe ich im Grossen und Ganzen nicht.