Christine Jordi, grossgewachsen, leger in Jeans und Lederjacke. Seit 40 Jahren verkauft sie Versicherungen, mit weiblichem Charme – durchaus ein Vorteil wie sie sagt. Kein Wunder, hat noch nie einer Hunde auf sie gehetzt. Vielmehr ist sie mit offenen Armen empfangen worden:
«Ich habe Kunden gehabt, die mich immer zu Weihnachten haben kommen lassen. Die wollten mir eigentlich nur Weihnachtsguezli geben. Sie haben gesagt: ‹Du hast eh keine Zeit zum Backen.›»
Bekannte, Freunde, Kunden
Gebäck ist zwar gut fürs Gemüt, Aber Versicherungen sind ihr Leben: Hausratsversicherungen, Lebensversicherungen, Haftpflichtversicherungen. Seit sie 1976 ihre Lehre begonnen hat, ist sie der Mobiliar-Versicherung im bernischen Belp treu geblieben.
Ich habe den Kunden immer so beraten, dass ich wieder zurückgehen konnte.
«Als ich angefangen habe, war ich an vielen Orten dabei, im Vorstand der Landi oder im Vorstand der SVP. Dadurch hat es Beziehungen gegeben und Freundschaften. Und das sind heute meine Kunden.»
Privates und Geschäftliches vermischen sich. Und weil die Branche nicht den besten Ruf geniesst, hat Christine Jordi vorgesorgt: «Ich habe den Kunden immer so beraten, dass diesem nie einer von der Konkurrenz hätte sagen könnten: 'Die hat dich über den Tisch gezogen. Ich habe den Kunden also immer so beraten, dass ich wieder zurückgehen konnte.»
Die Leute wollen heute keinen Kundenberater mehr am Abend.
So ist in vier Jahrzehnten ein Netz entstanden, das heute mehrere hundert Kunden umfasst: Bauern, Familien, kleine und mittlere Unternehmen. Ein Netz, das sie aktiv pflegen muss. Allerdings nicht mehr wie früher – Klinken putzend:
Früher hat man den Kunden besucht, mit dem man einen Termine gehabt hat. Dann ist man vielleicht auch noch zu dem nebendran gegangen, weil der grad draussen war. Mit dem hat man vielleicht auch noch etwas machen können. Das ist heute nicht mehr so. Ich gehe nur noch zu Kunden, mit denen ich einen Termin habe.»
Der Kundenkontakt findet nur noch aus der Distanz statt
Auch trifft sie ihre Kunden immer seltener zuhause: «Früher hatte ich zehn bis zwölf Kundentermine in der Woche. Damals ist man auch am Abend noch zum Kunden gegangen. Das ist heute nicht mehr so. Die Leute wollen heute keinen Kundenberater mehr am Abend. In der Regel ist um sieben Uhr der letzte Termin.»
Diesen persönlichen Kontakt vermisst Christine Jordi. Denn heute verbringt die 56-jährige Versicherungsberaterin viel mehr Zeit in ihrem funktional eingerichteten Büro. Der Kundenkontakt nur noch aus der Distanz, per Email oder Telefon – damit verliert sie auch wichtige Informationen und neue Kunden.
Paradoxerweise bräuchte es heute gerade mehr persönliche Beratung, ist Christine Jordi überzeugt: Denn die Vielfalt an Angeboten verwirre Kunden oftmals. Auch das Internet oder neue Versicherungs-Apps würden nur begrenzt weiter helfen, betont sie – nicht ganz ohne 'Schadenfreude':
Dass es einen nicht mehr braucht, diesen Eindruck habe ich nicht.
Etwa bei der Autoversicherung muss man wissen, ob man wirklich richtig versichert ist. Da lässt man vielleicht doch noch jemanden kommen, um zu schauen, ob man es wirklich richtig gemacht hat.
Trotz Digitalisierung: Angst um ihren Job? Nein, das hat sie nicht: «Es wird sich sicher noch mehr ändern. Aber dass es einen nicht mehr braucht, diesen Eindruck habe ich nicht.»