Nun vergeben institutionelle Anleger Kantonen und Städten kurzfristige Kredite zu einem Negativzins: Was einem Traum gleicht, ist für Schweizer Kantone und Städte zumindest in der kurzen Frist Realität. Anstatt für die Aufnahme von Schulden Zinsen zu bezahlen, erhalten sie von institutionellen Anlegern in der Schweiz am Ende sogar noch Geld zurück.
Not macht erfinderisch
Zu den Anbietern solcher Kredite gehört neben der Suva die Pensionskasse des Bundes (Publica). Die Problematik sei 2015 entstanden, als die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Mindestkurs aufhob und den Leitzins senkte, sagt Philipp Luginbühl, Portfolio Manager bei der Publica.
Die Negativzinspolitik der SNB macht den institutionellen Anlegern seither zu schaffen – alternative Anlagemöglichkeiten sind gefragt. Den Grund, warum die Publica Kredite mit Negativzinsen vergibt, erklärt Philipp Luginbühl im Interview mit «10vor10» wie folgt: «Wenn wir Gelder im kurzfristigen Bereich anlegen müssen, kann es attraktiv sein, die Gelder bei einem guten Kanton oder Stadt zu einem leichten Negativzins anzulegen. Würden wird das Geld bei der Bank deponieren, müssten wir höhere Negativzinsen bezahlen.»
Der Anteil der Anleihen im Negativbereich mache aber nur einen Bruchteil des gesamten Portfolios aus, so Luginbühl. Vergeben würden die Kredite primär an Städte und Kantone aus der Schweiz.
Gemeinden profitieren
Die Stadt St. Gallen ist eine derjenigen Gemeinden, die in den Genuss von Negativzinsen auf kurzfristige Kredite kommen. Im Moment saniert die Stadt gerade den Bahnhof. Finanziert werde der Bau teilweise durch Darlehen, auf denen Negativzinsen bezahlt würden, sagt Michael Urech, Finanzchef der Stadt St. Gallen.
Obwohl es attraktiv sei, sich so zu verschulden, betont er: «Das Bahnhofprojekt wurde beschlossen, lange bevor Minuszinsen ein Thema waren.» Investitionen würden nach wie vor nur dort getätigt, wo es nötig sei. Philipp Luginbühl pflichtet ihm bei: «Wir haben nicht den Eindruck, dass Kantone, Städte oder Gemeinden auf Vorrat Geld aufnehmen.»
Von den Negativzinsen profitieren vor allem grössere Gemeinwesen wie Städte oder Kantone. Kleinere Gemeinden hätten es schwieriger, so Urech: «Kleinere Gemeinden haben eine schlechtere Bonität und sind seltener am Markt. Deswegen haben sie weniger Möglichkeiten.»
Tiefe Zinsen nicht nur Segen
Kantone und Gemeinden bekommen aber auch die negativen Auswirkungen der Negativzinsen zu spüren. Wenn die Einwohner ihre Steuern einzahlen, fliesst viel Geld in die Kasse. In der momentanen Situation ist es jedoch schwierig, dieses Geld sinnvoll anzulegen.
Bestenfalls können Negativzinsen vermieden werden. Eines ist aber gewiss: Die Zinseinnahmen sinken. Es kommt also auf den Einzelfall an, ob die Gemeinde unter dem Strich von den Negativzinsen profitiert oder nicht.