In der texanischen Öl-Hochburg Houston gibt es derzeit eine grosse Boombranche: Konkursanwälte. Der anhaltend niedrige Ölpreis droht Zulieferer, Ausrüster und alle, die irgendwie vom Öl abhängen, in die Pleite zu treiben.
Spitzenvertreter der Weltwirtschaft
«Eine erdrutschartige Pleitewelle auf dem Energiesektor wird sich auf weitere Branchen ausbreiten, als erstes auf die Immobilienwirtschaft», schreibt der «Houston Chronicle». Ab Montag an trifft sich die weltweite Öl-Prominenz in der Stadt. Die Internationale Energieagentur (IEA) stellt ihre mittelfristige Prognose für den Ölmarkt der nächsten fünf Jahre vor.
Unter den Gästen sind hochrangige Industriemanager, darunter Siemens-Chef Joe Kaeser. Und auch der Mann, der die Misere massgeblich angerichtet hat, kommt nach Texas: Saudi-Arabiens Ölminister Ali bin Ibrahim Al-Naimi.
Saudi-Arabien gegen Iran
Saudi-Arabien hat mit der Ausweitung der Fördermengen grossen Anteil daran, dass der Ölpreis um 70 Prozent eingebrochen ist – und nach allen Prognosen erst einmal auf Tiefflug-Kurs bleibt. Das Ziel der Saudis: Über Marktanteile das Überangebot am Markt dominieren. In der Branche geht jedoch kaum jemand davon aus, dass dies alles war.
Saudi-Arabien wollte unter allen Umständen die Rückkehr des Intimfeindes Iran auf den Ölmarkt so schwer wie möglich machen. Die stark aufstrebende Ölindustrie in den USA, wo vor allem die Menge an Schieferöl stark ansteigt, wurde damit gleich mit getroffen. Die Schieferöl-Gewinnung ist vergleichsweise teuer, tiefe Verkaufspreise und niedrige Erlöse lassen die schwächeren Marktteilnehmer aufgeben.
Zehntausende Jobs auf der Kippe
Allein der Schlumberger-Konzern, einer der grossen Dienstleister der Branche, hat seit Beginn des Preisverfalls 30'000 Jobs abgebaut. Nach Angaben der Anwaltskanzlei Haynes und Boone in Houston sind 2015 mindestens 42 Ölfirmen in die Pleite geschlittert.
Das gleiche Prinzip gilt für den Iran: Nach dem Atomdeal und der Aufhebung internationaler Sanktionen braucht es im Mullah-Staat erhebliche Investitionen, um die Förderpumpen wieder richtig in Gang zu setzen. Die sind weniger rentabel, wenn der Ölpreis niedrig ist. Mit Saudi-Arabien und Russland überlegen inzwischen die beiden grössten Ölproduzenten, ihre Produktionsmengen einzufrieren.
Suche nach Verbündeten
Förderländer wie Venezuela – wegen des Preisverfalls der Staatspleite nahe – oder Kuwait schreien verzweifelt Hurra und wollen mitziehen. Doch Russen und Saudis, gemeinsam für einen Fünftel der weltweiten Ölproduktion zuständig, wollen ihre Ölpumpen nur dann dann nicht schneller stellen, wenn auch Länder wie der Irak und der Iran mitmachen. Die Saudis würden kaum dem Iran freiwillig ihre Märkte überlassen. Dort hält sich die Lust, auf die Bremse zu treten, aber arg in Grenzen.
Auch der von Krieg und Terrorismus gebeutelte Irak will endlich wieder wirtschaftlich Fuss fassen – das Öl ist praktisch die einzige Chance. «In einer Abkehr von dem, was in den vergangenen vier Jahrzehnten galt, fördern und verkaufen die Ölhersteller, was sie nur können», stellt die Internationale Energieagentur fest.
Teheran setzt auf schwarzes Gold
Zudem muss auch die Regierung in Teheran auf das Schwarze Gold als seine wichtigste Ressource setzen, wenn sie die Geduld ihrer von den Wirtschaftssanktionen ausgezehrten Bevölkerung nicht unnötig lange auf die Folter spannen will – zumal mit Parlamentswahlen im Blick. «Für die Iraner hat es nationale Bedeutung, ihre Marktanteile zurückzugewinnen», sagt Daniel Yergin, einer der weltweit führenden Ölexperten und Leiter der Tagung in Houston in einem Interview.
Die Regierung in Teheran hat bisher noch nicht abgesagt, hält sich alle Türen offen. Der Iran will die Produktionsmengen aus der Zeit vor den Sanktionen erreichen, das heisst, seinen täglichen Ausstoss um eine Million Barrel steigern. Mit dem neuen iranischen Öl gehen Experten davon aus, dass die tägliche weltweite Überproduktion 1,5 Millionen Barrel (159 Liter) erreicht.
Nach Meinung von Yergin, der als einer der globalen Öl-Gurus gilt, hängt die Zukunft des Ölpreises aber noch mehr am Wachstum der Weltwirtschaft, sprich an der Nachfrage aus China. «Eine schwächere Weltwirtschaft bedeutet weniger Wachstum in der Nachfrage in einer Zeit, in der das Angebot anschwillt», schrieb er jüngst in einem Beitrag für die «Financial Times».
