Anstatt vor einigen hundert Studierenden im Hörsaal zu referieren, spricht Pierre-Yves Gilliéron in eine Kamera und erreicht damit das Tausendfache an Studenten auf der ganzen Welt. Der Professor der Ecole Polytechnique Fédérale Lausanne EPFL nimmt einen Vortrag über Vermessungstechnik auf, der anschliessend ins Internet gestellt wird. 25 Vorlesungen, sogenannte Moocs, hat die EPFL bislang produziert. Sie war die erste Universität, die in Europa auf den Trend aufgesprungen ist. Moocs steht für «Massive open online courses» – kostenlose Vorlesungen für jedermann im Internet. Die EPFL hat damit nach eigenen Angaben bereits mehr als 300‘000 Studenten erreicht.
Yale-Vorlesungen für alle
«Keiner weiss wirklich, wohin das geht», sagt EPFL-Vize Karl Aberer gegenüber dem Wirtschaftsmagazin «ECO». «Aber für uns ist es wichtig, dabei zu sein und nicht erst in einem zweiten Schritt zu reagieren, wenn alles schon entschieden ist.»
Dabeisein beim Trend aus den USA, wo etwa Star-Akademiker wie der aktuelle Wirtschaftsnobelpreisträger und Yale-Professor Robert Shiller ihr Wissen gratis via Moocs im Internet vermitteln.
Die meisten Moocs werden durch Coursera im kalifornischen Stanford vertrieben. Vor zwei Jahren von den beiden Stanford-Professoren Daphne Koller und Andrew Ng gegründet, sind die Nutzerzahlen ähnlich schnell gewachsen wie die von Google und Twitter in der Anfangsphase. Coursera hat sich vom kleinen Forschungsprojekt in den letzten zwei Jahren zu einem Unternehmen mit 70 Angestellten und über hundert Partneruniversitäten entwickelt.
Laut Andrew Ng befinde sich Coursera immer noch im Anfangsstadium, und trotzdem habe man mit kostenpflichtigen Zertifikaten im vergangenen Jahr bereits über eine Million Dollar Umsatz gemacht. Die Kurse blieben aber alle kostenlos. Man habe genügend Kapital und auch genügend Zeit, um nun nachhaltige Geschäftsmodelle zu entwickeln, glaubt Andrew Ng.
Rund um den Globus verfolgen annähernd sechs Millionen Studenten Moocs von Coursera. Einen Masterabschluss kann man via Moocs noch nicht erlangen. Die Kurs-Zertifikate würden sich aber in jedem Lebenslauf gut machen, ist Andrew Ng überzeugt.
Lausanne und Genf aktiv, Neuenburg und Lugano in Entscheidung
Neben der EPFL setzen in der Schweiz vor allem Universitäten aus der Romandie auf Moocs. Die Universität Genf bietet aktuell fünf Kurse an, darunter etwa «International Organization Management» oder einen Kurs über die «Vielfalt von Exoplaneten». An den ersten drei Kursen haben nach Angaben der Universität Genf insgesamt 80‘000 Studenten teilgenommen. Aufgrund des Erfolgs sind sechs weitere Kurse geplant.
Neu will ab September 2014 auch die Universität Lausanne Vorlesungen ins Internet stellen. Und auch die Universität Neuenburg überlegt sich derzeit, mit Moocs zu starten. An der Universität der italienischsprachigen Schweiz in Lugano will man sich bis Ende Januar entscheiden, ob man mit einem einjährigen Pilotprojekt starten will.
Deutschschweizer Universitäten zeigen sich zurückhaltend. Die Universitäten Basel, Bern, Freiburg und Luzern bieten keine Moocs an. Die Universität Zürich und die Eidgenössische Technische Hochschule ETH bieten vereinzelt Moocs an.
Dieter Euler, Professor der Universität St. Gallen, beurteilt das Geschäftsmodel der Firmen, die Moocs vertreiben, als «nicht sehr stabil». Trotzdem will die Universität St. Gallen ab Frühling 2014 ebenfalls Moocs anbieten.