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Legende: Bunte Vielfalt, das war einmal. Volkswagen will die Palette seiner Fahrzeuge straffen und auf Elektroautos setzen. Keystone

Wirtschaft Strom statt Diesel: Neue VW-Strategie entzückt, fast alle

Volkswagen will als Folge des Abgas-Skandals stärker auf die Karte Elektromobilität setzen. Freude, Skepsis, Optimismus – die Bandbreite der Emotionen unter den Experten ist gross. Ein Querschnitt der Befindlichkeiten zu des Deutschen liebsten Kinds.

Beim ADAC, Europas grösstem Automobilclub, hält sich die Freude in Grenzen. Das Volkswagen künftig verstärkt in E-Autos machen will, sieht man hier in München mit gemischten Gefühlen. «Wir stehen der Ankündigung von VW neutral gegenüber, da es aus unserer Sicht diese eine alles entscheidende, emissionsfreie Lösung bisher noch nicht gibt», sagt ADAC-Pressesprecher Jochen Oesterle .

Gänzlich anders die Gefühlslage hingegen bei Lars Thomsen. Der Zürcher Zukunftsforscher mahnt die Autoindustrie schon seit Jahren, den Sprung ins Elektrozeitalter nicht zu verpassen. Bis vor wenigen Tagen waren seine Rufe weitestgehend im Nichts verhallt. «Dass da jetzt scheinbar ein Umdenken stattgefunden hat, erfreut mich sehr.»

Doch Vorsicht. Wer morgen zum Autohändler stürmt, um sein persönliches Elektrozeitalter zu starten, ist definitiv zu früh dran. «Ich rechne mit einem Entwicklungszeitraum von 200 Wochen – sprich, man wird wohl erst in vier Jahren die neuen Fahrzeugen kaufen können», so Thomsen.

Deutschland, Ghana und die Ladestationen

Mit einem ähnlichen Zeitraum rechnet auch Deutschlands Autoexperte Nummer eins, Ferdinand Dudenhöffer . Aber auch nur, wenn sich die Politik endlich des Problems Elektromobilität annehme. «Denn mit Sonntagsreden allein und den Luftblasen, die die Kanzlerin von sich gibt, ist es nicht getan», findet der sonst so besonnene Professor deutliche Worte.

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Man mag es kaum glauben: Aber das Land, dass der Welt zeigen will, wie der Ausstieg aus der Atomenergie funktioniert, bewegt sich laut Dudenhöffer, was die Abdeckung mit Ladestationen für E-Autos angeht, auf dem Level von Ghana. Hier sei dringend Nachbesserung von Nöten und auch steuerlich sollte der Kauf gefördert werden, meint Dudenhöffer.

Abo-Modell wie beim Smartphone?

Die Hersteller sollten doch bitteschön endlich mit Argumenten statt subventionierten Modellen überzeugen, findet man hingegen beim ADAC. «Wenn man sich heute ein E-Auto kauft, dann ist das doch so, als würde man vom 10. Stock springen ohne zu wissen, ob unten ein Sicherheitsnetz gespannt ist», malt der ADAC-Pressesprecher Jochen Oesterle drastische Bilder an die Wand.

Denn angesichts der raschen Entwicklungen bei der Akku-Technik kündigten sich hier Halbwertszeiten an, die mit denen der Smartphones vergleichbar seien. Sprich, ein E-Auto dürfte nach drei Jahren nur noch sehr schwer verkäuflich sein – oder wenn doch, dann nur mit einem hohen Abschlag.

«Deshalb braucht es aus unserer Sicht hier völlig neue Lösungen – vielleicht ähnlich denen im Smartphone-Bereich», so Oesterle. Warum sollte so etwas nicht auch mit Akku-Packs für das Auto funktionieren? «Bisher aber wird der Autofahrer von den Herstellern diesbezüglich aber im Regen stehen gelassen.»

Ökostrom zum Autofahren? Genial!

Und Thomsen? Von Hause aus Optimist, will er bei VW einen disruptiven Kurswechsel ausgemacht haben. Disrup was? «Disruptiv heisst, man will nicht länger flicken und das Alte aufpolieren, sondern mal von Grund auf komplett neu denken.» Aha.

«Die meisten Menschen haben Angst vor Neuem – nur um dann zu merken, dass das Neue tatsächlich besser ist», so Thomsen. Auf Deutschland und die Elektromobilität bezogen könnte das heissen, dass künftig Ökostrom, der heute in Spitzenzeiten verschenkt werden muss, zum Autofahren genutzt wird. «Das wäre doch genial.»

E-Auto = Chance für VW und Deutschland

Und am Ende packt Thomsen noch ein Bonmont aus, dass er in seinen unzähligen Vorträgen weltweit immer wieder gern bemüht: «Elon Musk, der Tesla-Chef hat einmal gesagt: 'Wenn der Trend erst einmal offensichtlich ist, dann ist es zu spät.'» Insofern könnte VW gerade alles richtig gemacht haben, so Thomsens Schlusswort.

Der nicht zwingend für seine Euphorie bekannte Ferdinand Dudenhöffer sieht das ähnlich: «Das ist eine grosse Chance für VW und auch für Deutschland.» Und auch der ADAC will sich am Ende nicht lumpen lassen: Wenn das klappe, mit den E-Autos und VW, so Jochen Oesterle, «dann hätte der Abgas-Skandal am Ende vielleicht doch sogar sein Gutes gehabt».

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