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Wirtschaft Unbekannte Riesen: Private Waggonvermieter erobern die Schienen

Viele europäische Staatsbahnen haben wenig in den Güterverkehr investiert. Umso mehr private Unternehmen: Von den 700‘000 Güterwagen auf den europäischen Schienennetz, sind bereits 200‘000 im Besitz privater Güterwagenvermieter. Wichtige Akteure sitzen in der Schweiz.

Andreas Goer ist eine Art Eisenbahnkönig. In nur 25 Jahren hat er von Baar aus die AAE aufgebaut. Das Unternehmen besitzt eine moderne Flotte von 30‘000 Güterwaggons, die an Industrieunternehmen und Bahnen vermietet werden, darunter auch SBB Cargo. Grundlegend für diesen Erfolg war nicht nur seine unternehmerische Fähigkeit: «Wir haben Glück gehabt, dass die EU die Märkte geöffnet hat und der Schienengüterverkehr liberalisiert wurde», sagt Andreas Goer. Seither gehört das Schienennetz nicht mehr exklusiv den Staatsbahnen. Auf der europäischen Schiene sind heute viele Privatbahnen unterwegs, die Güterwaggons anmieten. Das ist für Bahnen günstiger als die Waggons selber anzuschaffen. Denn ein einziger Waggon kostet im Schnitt 100‘000 Franken.

Staatsbahnen geraten ins Hintertreffen

Damit private Waggonvermieter wie die AAE Geld verdienen, brauchen sie den europäischen Markt mit vielen Kunden und langen Strecken. Der Transport auf der Schiene rentiert erst ab einer Strecke von 300 Kilometern. Also muss ein Anbieter europaweit aktiv sein. Das macht es für angestammte Staatsbahnen schwierig im Güterverkehr zu bestehen. In Dänemark, Holland und Norwegen gibt es keine staatliche Güterbahn mehr. In diese Lücke sprang die DB Schenker, die europaweit tätig ist.

Die Liberalisierung im Schienenverkehr spürt auch SBB Cargo. Jahrelang fuhr die Güterbahn rote Zahlen ein. Seit zwei Jahren schreibt sie wieder Gewinn. Doch jahrelang konnte sie kaum in neue Güterwagen investieren. Inzwischen ist die Hälfte ihrer Flotte über 30 Jahre alt. Um Kosten zu sparen hat SBB Cargo ihren Waggonpark in den letzten zwanzig Jahren um mehr als die Hälfte reduziert. Heute besitzt sie noch 6800 Güterwaggons. Doch der Schrumpfungsprozess sei längst nicht abgeschlossen sagt SBB-Chef Andreas Meyer: «Wir hatten bis zu dreissig verschiedene Wagentypen, das schränkt die Flexibilität ein. Deshalb ist auch SBB Cargo daran, sich zu fokussieren». Mit anderen Worten: Zu viele Güterwaggons, die nicht ständig eingesetzt werden können und dadurch Kosten verursachen.

Auch die Post mietet bei Privaten

Da erstaunt es nicht, dass private Vermieter mit modernen Güterwagen, Marktanteile gewinnen. Das Luzerner Familienunternehmen Wascosa besitzt eine grössere Wagenflotte als SBB Cargo. Ihre 7500 Wagen sind europaweit im Einsatz. Selbst die Schweizer Post mietet ihre Güterwaggons bei den privaten Vermietern Wascosa und AAE. SBB Cargo bleibt die Fahrt auf dem Gleis. Rund 30 Prozent der Güterwagen, die SBB Cargo durchs Land zieht, sind im Besitz von privaten Waggonvermietern.

Güterwaggons der Deutschen VTG
Legende: Die Deutsche VTG ist mit einer Flotte von 80‘000 Güterwaggons die grösste private Vermieterin Europas. SRF

Vor zwei Monaten ist Andreas Goer mit seiner AAE in Baar, einen unternehmerischen Schritt weiter gegangen. Er hat seine 30‘000 Güterwagen in die Deutsche VTG eingebracht. Damit verfügt die VTG über eine Flotte von 80‘000 Güterwaggons. Andreas Goer ist zum zweitgrössten Aktionär der VTG aufgestiegen. Der grösste private Waggonvermieter in Europa wird dieses Jahr einen Umsatz von einer Milliarde Euro erzielen. Der Trend zur Grösse hat seinen Grund, das Geschäft mit der Vermietung ist sehr kapitalintensiv: «Sie müssen regelmässig investieren, sonst wird ihr Wagenpark zu alt. Irgendwann fallen dann mehr Waggons hinten raus, als dass sie vorne dazukaufen können und sie verschwinden aus dem Geschäft», sagt Andreas Goer. Damit ist bei seinem Geschäftstempo wohl kaum zu rechnen.

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