Das Thema Wirtschaftsethik werde immer dann aktuell, wenn es zu grossen gesellschaftlichen Transformationen komme, zu einem Kulturwandel, sagt Florian Wettstein. Er ist Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen. In einem solchen Kulturwandel stecke man seit der Finanzkrise von 2008, die Wirtschaft habe ein Abzocker-Image. Dem wolle man entgegentreten.
«Wir müssen Themen wie Klimawandel, weltweite Ungleichheit oder die Frage, welchen Beitrag Unternehmen an eine gute Gesellschaft leisten sollen, kritisch reflektieren», so Wettstein. Im Rahmen des Studiums und des Fachs Wirtschaftsethik sei dies möglich und nötig.
Wirtschaftsethik wird Pflichtfach
Grundsätzlich steige das Interesse an Wirtschaftsethik als Fachgebiet schon seit den 1990er-Jahren. Die rund dreissig Ethik-Vorlesungen seien gut belegt, die Nachfrage steige. «Wir stossen auf offenere Ohren als früher», stellt der Institutsdirektor fest.
Offene Ohren hat das Institut auch bei der Universitätsleitung gefunden: Ab kommendem Jahr soll Wirtschaftsethik zum Pflichtfach werden. Themen wie Nachhaltigkeit oder Menschenrechte seien derzeit hoch im Kurs, so Wettstein.
Die Gründung des St. Galler Instituts für Wirtschaftsethik hat eine lange Vorgeschichte. 1977 regte das katholische Kirchenparlament ein solches Fach an der Universität an. 1989 nahm es den Betrieb trotz Widerständen auf.
Kritik aus Wirtschaft und Politik
Georges Enderle, heute Professor für Wirtschaftsethik an der University of Notre Dame in den USA, war bei der Gründung dabei. Damals sei unter anderem der mögliche Einfluss der Kirche auf die universitäre Ausbildung kritisiert worden.
Auch sei moniert worden, Ethik sei eine Gefühlssache, bei der man nicht philosophisch argumentieren könne, sagt Enderle. «Zudem wurde schon damals die Diskussion über die Wertfreiheit der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften geführt.» Die Wirtschaftswissenschaften müssten deshalb wertfrei sein, weil der freie Markt sich selbst reguliere, wurde argumentiert.
Freiheit und Verantwortung gehören zusammen
Das sieht Wirtschaftsethiker Enderle anders. «Mit freier Entscheidung kommt auch die Verantwortung», sagt er. Verantwortung sei dabei nicht nur eine rechtliche, sondern auch moralische und ethische Verantwortung. «Ich finde es deshalb seltsam, dass Leute sagen, ‹wir wollen frei sein, aber von Verantwortung wollen wir nicht reden›.»
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An das Verantwortungsbewusstsein appelliert auch Wirtschaftsethiker Wettstein. Zwar gebe es noch Widerstände aus der Wirtschaft, sagt er. Doch das kritische Hinterfragen gehöre mittlerweile zur guten Unternehmenspraxis. Deshalb: «Der Rückhalt in der Öffentlichkeit und in der Wirtschaft ist viel breiter geworden.» Es gebe mittlerweile viele «aufgeklärte» Unternehmensführerinnen und -führer, welche dem ethischen Handeln einen wichtigen Stellenwert einräumten.
Auch wenn der Rückhalt in den dreissig Jahre seit der Gründung zugenommen hat, ist das Institut für Wirtschaftsethik in der Öffentlichkeit wenig bekannt. In der Fachwelt sei man aber gut vernetzt, etwa durch internationale Symposien, die das Institut organisiere oder durch Fachzeitschriften, die man herausgebe. Insgesamt beschäftigt das St. Galler Institut für Wirtschaftsethik rund zwanzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.