Volkswagen muss ohne Martin Winterkorn weitermachen – der Abgas-Skandal fegte den eigentlich fester denn je im Sattel sitzenden Konzernchef innerhalb weniger Tage aus dem Amt. Heute Freitag dürfte die Affäre weitere Manager Amt und Würde kosten. Noch immer sind die Folgen, die das Diesel-Desaster für Europas grössten Autobauer haben wird, nicht absehbar.
Fest steht: Auf den neuen Chef wartet eine riesige Herausforderung, denn schon in normalen Zeiten ist ein Konzern wie Volkswagen mit seinen Baustellen und weltweit rund 600'000 Mitarbeitern schwer zu führen.
So geht es weiter im Auto-Imperium mit seinen zwölf Marken:
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Was passiert am Freitag?
In Wolfsburg tagt heute der 20-köpifge Aufsichtsrat der Volkswagen AG. Er muss die Weichen für die Zukunft des angeschlagenen Konzerns stellen: Zum einen mit der Nachfolge von Winterkorn an der Firmenspitze. Zudem dürfte das oberste Führungsgremium weitere wichtige Personalentscheidungen treffen. Und zum andern geht es an der Sitzung um einen Entscheid über die noch von Winterkorn entworfene neue Struktur für VW. Sie soll den Riesenkonzern schneller und besser machen.
Wer wird neuer VW-Chef?
Haben deutsche Medien recht, so ist Porsche-Chef Matthias Müller gesetzt. Neben dem 62-Jährigen gilt aber auch der seit Juli als VW-Markenchef amtierende, frühere BMW-Vorstand Herbert Diess als Favorit. Für Müller spricht, dass er den Konzern gut kennt und als erfahrener Automanager gilt – und auch Rückhalt im Management hat. Diess jedoch hat einen Vorteil, der vor dem Skandal noch als Nachteil gegolten hätte: Er ist erst seit kurzem bei VW.
Rollen weitere Köpfe?
Es wird erwartet, dass wegen des Abgas-Skandals weitere Manager ihren Job verlieren – etwa in den Geschäftsleitungen der VW-Töchter oder bei anderen Gesellschaften. Bisher hat sich Volkswagen dazu nicht offiziell geäussert. Laut der Deutschen Presseagentur müssen sowohl Audi-Entwicklungsvorstand Ulrich Hackenberg als auch Porsche-Forschungsvorstand Wolfgang Hatz ihren Hut nehmen . Daneben sollen weitere Chefposten wackeln.
Wie geht es im Abgas-Skandal weiter?
Der neue VW-Chef muss die Affäre aufklären, aufarbeiten und vor allem versuchen, den Schaden möglichst zu begrenzen. Noch immer ist nicht völlig klar, wie viele Autos überhaupt betroffen sind, was alles und wo manipuliert wurde. Noch weniger absehbar ist, was juristisch auf den Konzern und seine Manager zukommt. VW selbst hat Strafanzeigen angekündigt, in etlichen Ländern ermitteln Staatsanwälte, teure Zivilklagen drohen. Auch welche Strafe VW letztlich in den USA wird zahlen müssen, ist noch offen. Schlimmstenfalls könnten es aber 18 Milliarden Dollar sein.
Was muss der neue Chef dringend anpacken?
Seine grösste Aufmerksamkeit muss dem Abgas-Skandal gelten. Dieser kann sich in seiner hoch explosiven Mischung aus drohenden Milliardenstrafen, vieler Klagen und Prozesse sowie Kosten für die Nach- und Umrüstaktionen der betroffenen Fahrzeuge rasch zur veritablen Bedrohung für den Konzern entwickeln. Hart aufklären, rücksichtslos aufräumen und glaubwürdig neu beginnen muss sein Motto sein.
Daneben warten weitere Probleme auf ihn: Die neue Struktur muss mit Leben gefüllt werden. VW muss etwa in China und anderen wichtigen Schwellenländern Antworten auf die schlechte Wirtschaftslage finden. Dazu kommen die Digitalisierung und neue Rivalen aus der IT-Branche, die das Geschäft bedrohen, oder der schleppende Ausbau der Elektromobilität.
Was muss der neue «Mr. Volkswagen» noch können?
«Wir brauchen für die Zukunft ein Klima, in dem Probleme nicht versteckt, sondern offen an Vorgesetzte kommuniziert werden», fordert Betriebsratschef Bernd Osterloh. Der mächtige Arbeitnehmervertreter spielt damit auf ein Thema an, dass VW schon länger beschäftigt: Es herrscht ein straffer Führungsstil, manche Manager sprechen gar von einem Klima der Angst. Schon früher gab es Berichte über Techniker, die weinend aus Produktabnahme-Gesprächen kamen. Osterloh sagt es so: «Wir brauchen eine Kultur, in der man mit seinem Vorgesetzten um den besten Weg streiten kann und darf.»
Und die Politik?
In Bedrängnis gerät der deutsche Vorzeigekonzern auch in der Politik. Verkehrsminister Alexander Dobrindt hat eine Untersuchungskommission nach Wolfsburg geschickt, die Grünen fordern noch weitergehende Tests auch bei anderen Autoherstellern. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nannte die Manipulationen in den USA «völlig inakzeptabel», auch Kanzlerin Angela Merkel verlangte eine rasche und vollständige Aufklärung.
Doch es stehen auch Vorwürfe an die Adresse der Politik im Raum, sie habe von den Schummeleien bei den Abgaswerten schon jahrelang gewusst.