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Chinesische Näherinnen und Näher in einer Fabrik, einer der Näher gähnt.
Legende: Nicht nur in China, auch in Europa schuften chinesische Arbeiter in der Textilindustrie. Reuters

Wirtschaft Weit und breit keine fair produzierten Kleider

Bis vor kurzem galt «Made in Italy» als Garantie für einigermassen faire Produktionsbedingungen. Doch seit dem fatalen Brand in einer Kleiderfabrik in Prato bei Florenz ist klar, dass auch mitten in Europa die Zustände in Textilfabriken katastrophal sein können. Was kann man dagegen tun?

Das Label auf einem Kleidungsstück sagt gar nichts darüber aus, unter welchen Umständen es produziert worden ist, wie Christa Luginbühl von der Clean Clothes Campaign erklärt. Die internationale Initiative setzt sich für faire Kleider ein. «Es ist keineswegs so, dass ‹Made in Europe› problemlos ist», so Luginbühl. Bei den Recherchen ihrer Organisation in Europa würden sehr viele Verstösse gegen Arbeitsgesetze festgestellt.

Chinesen in Prato

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Am 1. Dezember starben beim Brand in einer Textilfabrik in Prato sieben chinesische Arbeiter. Die Opfer wurden in ihrem winzigen Schlafraum vom Feuer überrascht. In Prato leben und arbeiten schätzungsweise 50'000 Chinesen, oftmals illegal und unter erbärmlichen Bedingungen.

Es braucht mehr Kontrollen

Dem kann Monika Kemperle nur beipflichten. Sie ist stellvertretende Generalsekretärin von industriALL, einer weltweiten Gewerkschaft für Metall-, Chemie- und Textilarbeiterinnen. Zwar seien die Standards in Europa höher als anderswo. Doch: «Wenn die Kontrollen nicht funktionieren, kann es zu eklatanten Unfällen kommen», sagt sie. Dies habe der tragische Fall im italienischen Prato gezeigt.

Neben besseren Kontrollen durch die Regierung seien aber auch die Modeketten gefragt, betont Kemperle. Die Endverkäufer müssten sicherstellen, dass ihre Lieferanten Gewerkschaften in den Betrieben zulassen. Nur so könnten sich die Angestellten selber gegen Missstände wehren.

Arbeiter meist Illegal im Land

Das sieht Christa Luginbühl von der Clean Cloths Campaign ebenso. Doch in Extremfällen, wie jenem von Prato, sei es kaum möglich, dass sich die Angestellten selber wehren könnten. Die Betroffen seien illegal im Land, ihre Arbeitsstelle und ihr Aufenthaltsstatus stehe auf dem Spiel. «Die sind in einer extrem verletzlichen Situation.»

Zwar haben sich verschiedene grosse Modeketten in letzter Zeit die Verbesserung der Situation auf die Fahnen geschrieben. Trotz gut gemeinter Initiativen sei bisher aber wenig Konkretes passiert, bilanziert Christa Luginbühl. Als positiv erwähnt sie das Sicherheitsabkommen in Bangladesch nach dem Fabrikeinsturz mit mehr als 1100 Toten vor einem Jahr. Viel diskutiert werde auch die Frage eines Existenzlohnes – doch bislang hätten sich noch kaum Firmen zu diesem Modell bekannt.

Kleiner Preisaufschlag könnte höhere Löhne bedeuten

Das Preismodel bei den Kleidern ist aus Sicht der Kritiker das eigentliche Problem. Die Produktionskosten der einzelnen Kleidungsstücke machen auch in Europa nur einen Bruchteil des Verkaufspreises aus. Oder anders gesagt: Der Lohn der Näherinnen könnte verdoppelt werden, ohne dass die Konsumentinnen im Laden viel mehr bezahlen müssten für den Jupe oder das Hemd.

Und wenn auch. Peter Waeber, Chef des Beratungsunternehmens Bluesign, ist überzeugt, dass viele Kunden mehr bezahlen würden, wenn Sie dafür eine Garantie hätten, dass ihre Kleider fair produziert wurden. Waebers Firma berät Textilunternehmen, die ihre Produktionsprozesse ökologisch verantwortlich gestalten wollen. Es gehe dabei um weniger als 10 Prozent Preisaufschlag, sagt er.

Konsumenten sollen nachfragen

Gewerkschafterin Monika Kemperle nimmt auch die Konsumenten in die Pflicht. Sie sollten immer wieder nachfragen, woher die Kleider stammen und unter welchen Bedingungen sie produziert wurden. «Dann müssen Marken auch antworten und Antworten finden», ist sie überzeugt.

Bis «Made in Europe» bei Textilien also hält, was es verspricht, dürfte es noch Jahre dauern.

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