Der Ökonom Gabriel Zucman war in letzter Zeit oft in den Medien. Er sagt, das Bankgeheimnis in der Schweiz lebt. Nach ihm befinden sich in der Schweiz 2400 Milliarden US-Dollar, ein Allzeithoch. Die Auslandsvermögen in der Schweiz stiegen seit 2009, als die G20 die Ära des Bankgeheimnisses für beendet erklärten, um 14 Prozent. Rund 80 Prozent der europäischen Kontoinhaber ziehen es vor, ihre Anlagen nicht zu deklarieren.
SRF News Online: Beat Bernet, was halten Sie von diesen Zahlen?
Beat Bernet, Wirtschaftsprofessor: Ich kenne die Aussagen von Zucman. Sie sind in jeder Hinsicht unprofessionell und höchst unqualifiziert. Er kann zu ihrer Begründung ausser sensationsorientierten Behauptungen keinerlei fundierte Fakten vorlegen. Seine Feststellungen über Höhe und Veränderung der Auslandsvermögen in der Schweiz zeugt zudem von einer erschreckenden Unkenntnis der ökonomischen und finanzwirtschaftlichen Basiszusammenhänge. Die Aussage betreffend des Prozentsatzes der nicht-deklarierenden Ausländer ist schlicht falsch und könnte durch jede kleine und grosse Bank problemlos widerlegt werden, wenn man diese Daten offenlegen wollte. Der Prozentsatz nicht-deklarierter Auslandvermögen liegt bei den meisten Banken heute im einstelligen Bereich.
Welche Ausländer legen ihr Geld in der Schweiz an?
Der Zufluss in die Schweiz nimmt tatsächlich wieder zu. Dabei handelt es sich zu mindestens 99 Prozent um versteuertes Kapital. Gründe dazu gibt es viele – der wichtigste ist sicher die zunehmende Suche nach Sicherheit und Stabilität sowohl bezüglich Währung als auch der politischen Verhältnisse. Dazu gehört auch die in der Schweiz immer noch relativ gute Rechtssicherheit.
Zucman schreibt, der Steuerbetrug in der Schweiz sei nicht beendet, bloss ausgeklügelter: Konten würden auf den Namen einer Briefkastenfirma, eines Trusts oder einer Stiftung gemacht. Über 60 Prozent der Auslandsvermögen in der Schweiz seien in den Händen solcher Konstrukte. Der Steuerflucht in die Schweiz geht also weiter, bloss unter veränderten Vorzeichen?
Eine solche Aussage ist reine Sensationshascherei. Zucmans Behauptungen zeigen, dass der 27-Jährige, der neben seinem Studierzimmer und der Universitätsbibliothek wohl noch nie eine Bank von innen gesehen hat, keinen Schimmer von den Strukturen und Prozessen hat. Die Vermutung ist wohl nicht ganz falsch, dass kein Hahn nach solchen unsinnigen Aussagen krähen würde, wäre nicht momentan Zucmans Doktorvater mit seinem Buch so im Gespräch.
Laut Zucman wachsen Finanzplätze wie Singapur und Hongkong zwar schneller als die Schweiz. Aber das sind keine Konkurrenten. Viele Institute sind bloss Tochterfirmen von Schweizer Banken.
Auch falsch. Eine simple Analyse etwa des Finanzplatzes Singapur oder Hongkong zeigt die tatsächliche Anbieterstrukturen und deren Wachstum über die vergangenen paar Jahre. Um die tatsächlichen Verhältnisse zu eruieren, reicht das Studium einer entsprechenden Statistik. Schweizer Banken sind wichtig, aber sie gehören in den entsprechenden Finanzplätzen in ein Cluster von verschiedenen Instituten aus unterschiedlichen Nationen. Das gilt genauso auch für New York oder London.
Zucman fordert, es müssten globale, demokratische und transparente Kontrollformen für Einkommen und Vermögen geschaffen werden, ohne die Privatsphäre zu verletzen. Was denken Sie dazu?
Diesem nichtssagenden Gemeinplatz kann man sicher nicht widersprechen. Die Umsetzung gleicht allerdings der Quadratur des Kreises. Hier könnte Zucman einen intellektuellen Beitrag leisten, indem er zeigt, wie man Privatsphärenschutz mit intensiver Kontrolle auf Basis des automatischen Informationsaustauschs umsetzen kann. Aber dazu bräuchte es etwas mehr Fachverstand, als er in seinen bisherigen Aussagen demonstriert hat.
Dieses Interview führte Christa Gall (schriftlich)