Über Jahre gewannen sie die Abstimmungen: Die mächtigen Schweizer Wirtschaftsverbände; namentlich die Economiesuisse, der Gewerbeverband und der Arbeitgeberverband. Seit dem Jahr 2000 standen sie in rund 90 Prozent der Abstimmungen, für die sie eine Kampagne durchgeführt hatten, auf der Gewinnerseite. Mit dem «Ja» zur Abzocker-Initiative und der Annahme der Initiative gegen Masseneinwanderung scheint diese Bastion aber ins Wanken geraten zu sein. Das Volk richtet sich nicht mehr zwingend nach den Bedürfnissen der Wirtschaft.
Es ist wichtig, dass Betroffene zu Wort kommen.
Roland Müller, Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, leitet die Kampagne der Verbände. Wichtig sei, dass vor allem auch Unternehmer, die nahe bei der Bevölkerung sind, gegen den Mindestlohn einstehen: «Wir müssen die KMU-Unternehmer auf das Parkett bringen. Wir müssen alle zusammen aufstehen und zeigen, warum man die Initiative ablehnen soll», so Roland Müller gegenüber «ECO».
Coiffeursalon unterstützt Wirtschaftsverbände
In einem von den Verbänden bezahlten Zeitungsinserat lächelt dem Leser so zum Beispiel die Inhaberin eines Coiffeursalons entgegen. Daneben steht: «Mit dem geforderten Mindestlohn müsste ich meine Preise erhöhen oder sogar Mitarbeiter entlassen.» Für Müller die ideale Botschafterin: «Es ist wichtig, dass Betroffene zu Wort kommen. Also Unternehmerinnen und Unternehmer, die am Schluss diese Mindestlöhne bezahlen müssten.» Über 400 Personen treten auf diese Weise öffentlich auf.
Die Frage, ob die Wirtschaftsverbände an Glaubwürdigkeit verloren hätten und deshalb auf Unternehmer setzen, beantwortet Müller so: «Wir ergänzen uns. Beide, regionale Vertreter und auch die Verbände sollen die Botschaft transportieren.»
«Lohn soll würdiges Leben ermöglichen»
Die Initianten des Mindestlohn-Initiative – namentlich der Schweizerische Gewerkschaftsbund sowie SP und Grüne – argumentieren, dass alle von ihrem «Lohn anständig leben können sollen». Gerade in einem reichen Land wie der Schweiz sei es unwürdig, wenn rund 330'000 Erwerbstätige weniger als 22 Franken pro Stunde verdienen würden. Bei einem Vollzeit-Pensum soll man so auf ein monatliches Einkommen von 4000 Franken pro Monat kommen
Dass ein Mindestlohn Arbeitsplätze vernichtet, hält Gewerkschafts-Ökonom Daniel Lampart für eine falsche Annahme. Er zitiert dafür mehrere Studien, gemäss denen Mindestlöhne kaum einen Einfluss auf die Arbeitslosigkeit haben. Das Ziel von höheren Löhnen würden sie aber sehr wohl erreichen. In einem Argumentarium für die Initiative folgert Lampart: «Für die Betroffenen ist das Tieflohnproblem gross. Für die gesamte Schweizer Wirtschaft ist es hingegen relativ klein.»
In der Forschung ist bis heute umstritten, ob Mindestlöhne zu mehr Arbeitslosigkeit führen.