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WTO in der Kritik «Es ist keine ideale Welt – aber ohne WTO sähe es schlimmer aus»

«Klinisch tot» sei die Welthandelsorganisation, lautet der Vorwurf. Auslöser ist die jahrelange Weigerung der USA, neue Richter für das WTO-Berufungsgericht zu ernennen. Dieses schlichtet bei Streitigkeiten zwischen Staaten. Ab Dienstag ist nur noch eine Richterin im Amt – statt eigentlich sieben. Somit ist das Gericht nicht mehr beschlussfähig. Karl Brauner, stellvertretender Generaldirektor der Organisation erklärt, weshalb die WTO trotzdem nicht tot ist.

Karl Brauner

Stellvertretender Generaldirektor WTO

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Karl Brauner ist seit Oktober 2013 stellvertretender Generaldirektor der Welthandelsorganisation. Vor seinem Eintritt in die WTO war er 12 Jahre lang Generaldirektor für Aussenwirtschaftspolitik im deutschen Wirtschaftsministerium. Zu den Aufgabenbereichen von Karl Brauner bei der WTO gehören die beiden Rechtsabteilungen, die sich mit dem Streitbeilegungssystem der WTO befassen.

SRF News: Herr Brauner, weshalb steckt die WTO heute in einer der grössten Krisen?

Karl Brauner: Das liegt am Zeitgeist. Die WTO ist eine der Bühnen, auf der die Spieler, die auf geopolitischer Ebene ihre Auseinandersetzungen betreiben, ihre Dramen aufführen.

Wie konnte es dazu kommen?

Die WTO ist kein selbstständiges Organ, sondern die Zusammenführung von 164 Mitgliedsstaaten. Die WTO ist von den Mitgliedern selbst geführt. Wenn wenig Neigung zur Zusammenarbeit besteht, wenn nationale Egoismen überwiegen oder wenn «Me first» die grosse Rolle spielt, dann wirkt sich das unmittelbar aus.

Damit spielen Sie auf die USA an?

Ja, sicher. Sie waren 70 Jahre lang die Führungsmacht in den internationalen Organisationen, auch in der WTO. Die Handelspolitik war ein Instrument der Aussenpolitik und ein Mittel der Friedenssicherung. Aber im Moment sagt der Präsident, ein Handelskrieg sei leicht zu gewinnen.

Müsste die USA konsequenterweise nicht aus der WTO ausscheiden?

Ich hoffe, dass das nicht passiert. Wir brauchen die USA in der WTO. Ohne jede Frage.

Es gibt Vorwürfe gegen die WTO. Wie reagieren Sie darauf?

Die Vorwürfe, die WTO verhindere, dass nationale Regierungen vernünftige Politiken – zum Beispiel zugunsten des Umweltschutzes – durchführen, sind unberechtigt. Die WTO hat dafür Ausnahme-Vorschriften. Es gibt immer Konflikte, wenn diese nationalen Politiken eigentlich nur der Vorwand sind für Protektionismus. Oder wenn sie in einer Weise durchgeführt werden, der den Handel mehr behindert als für die Umsetzung dieser Politik eigentlich erforderlich ist.

Wir brauchen die USA in der WTO. Ohne jede Frage.

Die USA wehren sich jetzt aber gegen die WTO.

Die Amerikaner haben eigentlich nur an einer Stelle ein Problem mit der WTO: Da, wo das Berufungsgericht ihnen in Streitigkeiten zu Themen wie Dumping nicht das gegeben hat, was sie gehofft hatten, zu kriegen.

Braucht es die WTO überhaupt noch?

Die Unternehmen haben nur wegen der WTO das, was in der realen Welt an Verlässlichkeit und an Rechtssicherheit möglich ist. Das bietet die WTO. Das ist nicht die ideale Welt. Aber ohne WTO sähe es ganz schlimm aus. Dann hätten wir ein Chaos und jeder würde mit jedem um Vergünstigungen rangeln.

Donald Trump verhängt Strafzölle nach und nach. Die USA interessieren sich nicht für das, was die WTO möchte.

Die Amerikaner nehmen für sich Ausnahme-Regeln in Anspruch. Und das war eine Vorschrift, auf die man sich bisher nicht berufen hat, die war sozusagen tabu. Es ist nicht so, dass die Amerikaner einfach sagen: Wir scheren uns nicht darum. Stattdessen sagen sie: Wir nutzen diese Vorschrift. Und ob das zu Recht oder Unrecht geschieht, darüber müsste der Rechtsstreit geführt werden.

Die Amerikaner nehmen für sich Ausnahme-Regeln in Anspruch.

Der nicht geführt werden kann, weil die Berufungsinstanz nicht da ist.

Er kann in der ersten Instanz geführt werden. Ich würde es natürlich für viel besser halten, wenn er nicht geführt würde, weil das eine Frage ist, die in der WTO nicht zu entscheiden ist. Das sind politische Auseinandersetzungen, die auch politisch geführt werden sollten. Und die nicht mit Mitteln des Rechtsstreits gelöst werden können.

Das Gespräch führte Tobias Bossard.

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