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Die WTO in der Sackgasse «...dann gilt wieder das Gesetz des Dschungels»

Die Welthandelsorganisation (WTO) ist in Gefahr. Hintergrund ist die jahrelange Weigerung der USA, neue Richter für das WTO-Berufungsgericht zu ernennen. Dieses schlichtet bei Streitigkeiten zwischen Staaten. Ab Dienstag ist nur noch eine Richterin im Amt – statt eigentlich 7. Somit ist das Gericht nicht mehr beschlussfähig. SRF-Wirtschaftsredaktorin Maren Peters erklärt, welche Folgen das haben könnte.

Maren Peters

Südasien-Korrespondentin

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Maren Peters ist seit September 2022 Südasien-Korrespondentin für Radio SRF und berichtet von Indien aus über Afghanistan, Pakistan, Bangladesch, Sri Lanka, Nepal, Bhutan und die Malediven. Zuvor war sie Wirtschaftsredaktorin bei Radio SRF. Dabei beschäftigte sie sich insbesondere mit internationaler Wirtschafts- und Entwicklungspolitik sowie Nachhaltigkeits- und Rohstofffragen.

SRF News: Ist die WTO ab Dienstag klinisch tot?

Maren Peters: Das ist zwar hart formuliert. Aber es läuft darauf hinaus. Die Berufungsinstanz galt bislang als Kronjuwel der WTO. Sie entscheidet in letzter Instanz über Handelskonflikte zwischen Staaten und sie erlaubt Strafen. Dann, wenn Staaten nachweislich gegen die WTO-Regeln verstossen. Etwa, wenn sie Subventionen an ihre Unternehmen verteilen, damit diese ihre Produkte billiger als Konkurrenten aus dem Ausland verkaufen können. Wenn diese Berufungsinstanz lahmgelegt ist, muss kein Land mehr befürchten, dass sein Handeln Folgen hat. Niemand mehr muss die WTO ernst nehmen.

Warum machen das die USA?

Sie finden, dass die Berufungsrichter ihre Kompetenzen überschritten haben. Manche hielten sich für eine Art «Welthandelsgericht», kritisiert die US-Regierung. Sie findet, dass die Rolle der Richter klar auf die juristische Prüfung von Streitschlichtungsfällen beschränkt sein sollte.

Das bedeutet nichts anderes als das Ende des regelbasierten Handelssystems. Dann gilt, grob gesagt, wieder das Gesetz des Dschungels.

Tatsächlich stören sich die USA vor allem daran, dass die WTO-Richter schon mehrfach zum Schluss gekommen sind, dass auch die USA ihre Handelspartner unfair behandelt haben. Darum hat die US-Regierung – im übrigen schon unter Präsident Barack Obama – angefangen, die Ernennung neuer Berufungsrichter zu verweigern. Auf diesem Weg legt sie jetzt die ganze WTO lahm.

Was hat das für Konsequenzen?

Die Folge ist, dass nun keine neuen Streitfälle verhandelt werden können. Und wir leben ja in einer Welt, in der es viele neue Handelsstreitigkeiten gibt – viele davon angestossen von den USA. Drei ältere Streitfälle sollen in Genf noch entschieden werden. In einen davon sind auch die USA verwickelt. Dann ist erstmal Schluss. Danach kann theoretisch jedes Land machen, was es will. Das bedeutet nichts anderes als das Ende des regelbasierten Handelssystems. Dann gilt, grob gesagt, wieder das Gesetz des Dschungels.

Schlimmstenfalls führt es zu einem globalen Handelskrieg wie in den 1930er-Jahren.

Alle Länder können theoretisch machen, was sie wollen. Sie können einseitig Strafzölle gegen andere Staaten erheben, also ihre Länder gegenüber Importen von aussen abschotten. Das werden wohl eher grosse Länder machen können, die das gegenüber kleineren Ländern durchsetzen können. Es geht aber zulasten aller, wenn Märkte abgeschottet werden. Der globale Handel wird gebremst und am Ende sind alle benachteiligt. Schlimmstenfalls führt es zu einem globalen Handelskrieg wie in den 1930er-Jahren.

Gibt es keine Lösung, damit das Berufungsgericht wieder besetzt wird?

Es gab eine dreitägige Krisensitzung, die aber zu nichts geführt hat. Die Europäische Union plant aber, eine Art Mini-Berufungsgericht zu installieren, um Streitfälle zwischen Handelsnationen zu lösen. Norwegen und Kanada haben bereits angekündigt mitzumachen. Die EU hofft nun, dass sich auch grössere Länder wie Russland, China oder Brasilien anschliessen. Denn je mehr Länder sich beteiligen, desto grösser ist die Wirkung eines solchen Mini-Berufungsgerichts. Entsprechende Pläne will die EU noch diese Woche vorstellen. Im Moment wäre das wohl die bestmögliche Alternative.

Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.

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