Man könnte sie die blaue Königin der Schweiz nennen: die Fellenberg-Zwetschge. An den Bäumen hängen 1000 Tonnen dieser Sorte, ein Drittel der gesamten Ernte. Es ist die in der Schweiz mit Abstand verbreitetste Zwetschgensorte.
Viele von uns haben schon solche Zwetschgen gegessen, ohne zu erahnen, wie viel Geschichte in dieser Frucht steckt. Die Sorte wurde vor mehr als 200 Jahren in die Schweiz gebracht und weitergezüchtet. Es ist eine alte Sorte, die nach wie vor die Regale in den Supermärkten füllt.
Hinter der Zwetsche steckt eine prägende Figur
Die Fellenberg-Zwetschge hat eine Reise hinter sich: Sie stammt ursprünglich aus Italien, vermutlich aus der Lombardei. Wer genau auf die Sorte aufmerksam wurde und sie in die Schweiz brachte, ist unklar, dieses Rätsel ist ungelöst. Fest steht: Der Name der Frucht geht auf den Reformer, Agronomen und Politiker Philipp Emanuel von Fellenberg zurück, der zwischen 1771 und 1844 lebte.
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Bild 1 von 2. Philipp Emanuel von Fellenberg: Brachte mit seinen Ideen die Reformen in der Landwirtschaft und der Bildung vorwärts. Bildquelle: Imago.
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Bild 2 von 2. Das hätte sich der Reformer wohl nicht erträumt, dass eine Zwetschge auch in ferner Zukunft seinen Namen trägt. Bildquelle: Imago.
Fellenberg war eine prägende Figur der damaligen Zeit, er forcierte die Modernisierung der Landwirtschaft und der Bildung, war über die Landesgrenze hinweg bekannt und inspirierte auch den Weimarer Dichter Johann Wolfgang von Goethe.
Gott, der Teufel und die Landwirtschaft
Philipp Emanuel von Fellenberg lebte in einer Zeit, in welcher der Religionsunterricht in der Schule eine zentrale Rolle spielte, die Glaubenslehre, der Katechismus. Fellenberg seinerseits versuchte Reformen einzuführen, nach dem Vorbild seines Zeitgenossen Johann Heinrich Pestalozzi. Die Schule sollte praxisorientierter werden, mit einer aufgeklärten Bildung im Zentrum. Der Mensch soll sein Schicksal selber gestalten.
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Bild 1 von 5. Der landwirtschaftliche Musterbetrieb und die spätere Schule von Hofwil, um 1835. Bildquelle: Imago.
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Bild 2 von 5. Hofwil ist nun ein Gymnasium. Bildquelle: SRF / Manuel Rentsch.
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Bild 3 von 5. Am Rande des Schulareals von Hofwil. Skulptur von Gründer Philipp Emanuel von Fellenberg. Bildquelle: SRF / Manuel Rentsch.
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Bild 4 von 5. Skulptur von Johann Heinrich Pestalozzi auf dem Schulareal. Die Ideen des Pädagogen hatten auch Einfluss auf die Armenschule von Hofwil. Bildquelle: SRF / Manuel Rentsch.
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Bild 5 von 5. Schulhausglocke aus früheren Zeiten. Bildquelle: SRF / Manuel Rentsch.
Fellenberg gründete 1799 in Hofwil bei Bern eine Schule für unterschiedliche Schichten, sowohl für Armenkinder als auch für Kinder aus Patrizierhäusern. Das war damals aussergewöhnlich. Zu Beginn war es eine Landwirtschaftsschule, die laufend ausgebaut wurde – mit internationaler Ausstrahlung und grossen Konferenzen.
Die Zwetschge und Fellenberg
Fellenberg baute in der Schule ein Netzwerk nationaler und internationaler Fachleute auf. In der landwirtschaftlichen Schule wurde gelehrt, wie man die Böden besser bewirtschaftet: Fruchtfolgewechsel, Dünger, verbesserte Geräte wie Pflug und Egge und neues Saatgut.
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Bild 1 von 2. Zwetschge in einem Supermarkt. Die Sorten werden häufig nicht genannt, sondern lediglich die Herkunft. Bildquelle: SRF / Manuel Rentsch.
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Bild 2 von 2. Laut Prognosen werden in dieser Saison mehr als 3000 Tonnen Zwetschgen in der Schweiz gerntet. Bildquelle: SRF / Manuel Rentsch.
In diesem Umfeld wurde wohl auch die Zwetschge weiterentwickelt. Wie und wo genau bleibt ein Rätsel. Fest steht, dass Fellenberg die Zwetschge in Deutschland einführte, in den 1830er-Jahren. Die in der Schweiz gezüchtete Sorte verbreitete sich in den wichtigsten Anbaugebieten Mitteleuropas.
Zukunft der Sorte fraglich
Dass sich die vor mehr als 200 Jahren gezüchtete Zwetschge bis zum heutigen Tag in der Schweiz halten konnte, ist aussergewöhnlich. «Fellenberg ist eine der ganz wenigen traditionellen Sorten, die den Wandel vom Feldobstbau auf Hochstämmen zu den modernen Niederstammanlagen für die Tafelobstproduktion überstanden haben», schreibt Moritz Köhle, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung.
Ob sich die Fellenberg-Sorte weitere Jahrzehnte im Schweizer Zwetschgenanbau behaupten könne, sei fraglich, schreibt Köhle. Es gebe zunehmend Konkurrenz von neuen Sorten, welche höhere Erträge bringen und robuster gegen Krankheiten sind.