- Zu hohes Cholesterin ist ein Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
- Nun hat die einflussreiche Europäische Fachgesellschaft für Kardiologie neue Empfehlungen zur Behandlung von hohen Blutfettwerten herausgegeben.
- In der Hausarztmedizin kommen die Vorschläge aus der Kardiologie nicht nur gut an.
François Mach ist Chefarzt Kardiologie am Universitätsspital Genf. Er hat eine Expertengruppe geleitet, welche die europäische Leitlinie zur Behandlung von hohem Cholesterin ausgearbeitet hat.
In den letzten Jahren habe sich viel getan auf dem Gebiet, sagt er: «Heute kann man das Herz-Kreislauf-Risiko einer Person viel genauer voraussagen.» Zudem seien neue Medikamente auf den Markt gekommen, um mehr Menschen besser gegen hohe Blutfettwerte zu schützen.
Wir machen eine riesige Population an Patienten künstlich krank und müssen mit ihnen über Medikamente sprechen, die sie unter Umständen gar nicht brauchen.
Corinne Chmiel führt eine Hausarztpraxis in Zürich. Auch ihr ist die Gesundheit ihrer Patientinnen wichtig. Aber: «Die Lipide, also das Cholesterin im Blut, sind nur ein Risikofaktor. Häufig ist er viel weniger relevant als alle anderen Risikofaktoren.»
Die Kardiologen würden das Cholesterin-Risiko in ihren Leitlinien systematisch überbewerten. Die Folge: «Wir machen eine riesige Population an Patienten künstlich krank und müssen mit ihnen über Medikamente sprechen, die sie unter Umständen gar nicht brauchen», sagt Chmiel.
Wer profitiert?
Diese Sicht teilt Nicolas Rodondi, Professor für Hausarztmedizin an der Universität Bern. Gemäss den neuen Empfehlungen müsste ein Grossteil der Bevölkerung Cholesterinsenker schlucken. «Das betrifft fast alle Erwachsenen, die über 40, 50 Jahre alt sind.»
Die Frage ist: Wer profitiert davon? In Deutschland gibt es Leitlinienwatch – eine unabhängige Initiative, die unter anderem von Transparency International getragen wird. Leitlinienwatch bewertet medizinische Behandlungsleitlinien auf ihre Unabhängigkeit von der Pharmaindustrie. Die Leitlinien der Europäischen Fachgesellschaft für Kardiologie schneiden dabei regelmässig schlecht ab.
Einer der Autoren der aktuellen Leitlinie ist Konstantinos Koskinas, Kardiologe am Inselspital Bern: Er bestreitet den Vorwurf des Interessenskonflikts.
Alle Leitlinien der Europäischen Fachgesellschaft für Kardiologie seien das Resultat zweijähriger Arbeiten, an denen sich 25 Expertinnen und Experten beteiligt hätten, sagt Koskinas. «Sie arbeiten unabhängig von der Industrie.»
Es war eine Voraussetzung, dass die Mitglieder der Taskforce keine persönlichen Zahlungen von der Industrie bekommen.
Die Fachgesellschaft habe diesbezüglich strenge Regeln: «Es war eine Voraussetzung, dass die Mitglieder der Taskforce keine persönlichen Zahlungen von der Industrie erhalten.»
Das bezieht die Fachgesellschaft auf die Leitlinien-Arbeit, aber offenbar nicht auf andere Kooperationen mit der Pharmaindustrie, wie Rodondi feststellt: «Für den Einsitz in Beiräten oder für Vorträge gibt es Zahlungen durch die Pharmaindustrie. Das Geld geht direkt an die Person oder an das Institut, an dem sie arbeitet.»
Ein möglicher Ausweg
Tatsächlich legen alle an der Leitlinie beteiligten Kardiologen detailliert und im Netz einsehbar offen, für welche Pharmafirmen sie in einem Beratungsausschuss gesessen oder Vortragshonorare entgegengenommen haben.
Für Rodondi sollten Interessenskonflikte immer vermieden werden. Dafür sieht er nur einen Ausweg: Die Richtlinien sollten «interprofessionell» entwickelt werden – also von Kardiologinnen gemeinsam mit Hausärzten, Epidemiologinnen, verschiedenen Berufsgruppen und auch Patienten.
Dann, so Rodondi, bekämen nur jene Personen Cholesterinsenker verschrieben, die wirklich davon profitierten.