Zum Inhalt springen

Beziehung in der Corona-Krise Psychologe: «Viele Paare holen sich zu spät professionelle Hilfe»

Fehlender Abstand, finanzielle Ängste und unsichere Kinderbetreuung – die Corona-Krise kann Paaren zu schaffen machen. Gemäss dem Psychologen Guy Bodenmann kann die Pandemie Paaren aber auch gut tun.

Guy Bodenmann

Psychologe

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Prof. Dr. Guy Bodenmann ist Psychotherapeut (Verhaltenstherapeut) und Fachpsychologe für Psychotherapie FSP. Er ist Direktor von drei Weiterbildungsstudiengängen (u.a. CAS für Paartherapie). Er ist Ausbildner und Supervisor von Paartherapeuten. Ausserdem ist er Direktor von Paarlife und Entwickler des Konzepts und des Trainings.

Guy Bodenmann, welchen Effekt hat die Corona-Krise auf Paarbeziehungen?

Die Pandemie hat einen dreifachen Effekt. Die, die davor glücklich waren, überstehen Corona relativ unbeschadet. Auf viele Paare hat die Pandemie sogar einen positiven Effekt. Sie sind mehr zusammengerückt. Dann gibt es auch Leute, die während der Pandemie wieder zueinander gefunden haben. Man entdeckt sich vielleicht neu, spürt wie schön es ist, wenn man endlich Zeit füreinander hat. Und für diejenigen, die vor der Pandemie schon mit ihrer Beziehung in einer Schieflage waren, haben sich Probleme zum Teil verstärkt.

Wieso bewirkt eine Krisensituation, wie die Corona-Pandemie, dass Paare zusammenrücken?

Die Corona-Krise ist ein kritisches Lebensereignis, das mit Stellenverlust, Krankheit und Todesfällen verbunden ist. In dieser schwierigen Situation hat man Verständnis für den Partner. Wenn man sich in so einer Situation auch noch gegenseitig das Leben schwer machen würde, wäre die Krise unerträglich. Man rückt also zusammen, zumindest in einer ersten Phase. In der zweiten Phase kann es zu einer Trennung kommen.

Wie gross ist der Anteil der Paare, die sich getrennt haben?

Ich glaube, dass es bis jetzt nicht mehr Trennungen als sonst gegeben hat. Wir können Corona mit anderen Krisen vergleichen, zum Beispiel mit der Finanzkrise im Jahr 2008. Die hohe Scheidungsrate hat man erst 2010, also zwei Jahre später, gesehen. Dann hatten wir die höchste Scheidungsrate, die es jemals in der Schweiz gegeben hat.

Erwarten Sie nun eine ähnliche Entwicklung?

Das ist schwierig zu sagen. Das Problem mit Corona ist, dass es sich von akutem zu chronischem Stress entwickelt hat. Die Finanzkrise war 2009 mehr oder weniger vorüber. Wann die Corona-Krise vorbei ist, weiss noch niemand. In einer Krise lässt man sich normalerweise nicht scheiden. Zu zweit hat man Vorteile, wie eine grössere finanzielle Sicherheit. Diese Vorteile wiegen den Nachteil, dass man nicht so glücklich ist, auf. Aber sobald man merkt, dass man wieder auf eigenen Beinen stehen kann und finanziell unabhängig ist, trennt man sich.

Kommt es aufgrund der Pandemie zu mehr häuslicher Gewalt?

Bisher hat es keine massive Zunahme von häuslicher Gewalt gegeben. Die, die davor nicht gewalttätig waren, sind wegen Corona nicht gewaltbereiter geworden. Die, die vorher schon gewaltbereit waren, sind in der Coronazeit teils vermehrt handgreiflich geworden. Die meisten sehen Gewalt aber nicht als Option in ihrer Partnerschaft.

Welche Tipps würden Sie Paaren geben, die damit Mühe haben, den ganzen Tag zusammen zu sein?

Paare, die vorher nicht so viel Zeit füreinander gehabt haben, sollten die Zeit nutzen. Es wird nie mehr so schön sein, mit so viel Zeit für den Partner. Paare, die nicht mit der Situation umgehen können, sollten sich Hilfe suchen.

Ab welchem Punkt sollte man sich professionelle Hilfe holen?

Im Moment kommen Paare viel zu spät. Sobald man merkt, dass man die Probleme selbst nicht mehr lösen kann und steckenbleibt. Es wird immer schlimmer und man wird immer unzufriedener. Dann sollte man sich professionelle Hilfe suchen. Sonst gibt es Verletzungen und Kränkungen, die extrem schwierig aufzuarbeiten sind.

Das Gespräch führte Lisa Wickart.

Radio SRF 1, Sendung Treffpunkt, 12.2.2021, 10 Uhr

Meistgelesene Artikel