Zuerst die einfachen Fälle. Wenn jemand «goot go arbäite» und «Kchartoffle mit Kcharotte» kocht, ist das wie ein Stich ins Deutschschweizerherz. Aber Hand auf dieses Herz: Wem fällt bei «rückwärts» sofort ein, dass das Mundartwort «hindertsi» oder «hinderschi» wäre? Und dass «öffne» für «ufmache» bis vor kurzem nicht falsch, sondern «lätz» war, gehört heutzutage zum verblassenden Sprachwissen.
«Erwache» statt «verwache»
Alte Mundartwörter zu ersetzen ist das Eine. Häufig werden aber auch bestehende Wörter ganz sanft in Richtung Standardsprache beziehungsweise Hochdeutsch modifiziert, etwa wenn jemand «nach em Erwache öppis erzäält». A propos «öppis» und «öpper»: Diese urschweizerischen Wörter scheinen auch schon auf der Kippe zu sein, hört man doch Sätze wie «Kennsch wär, wo das macht?» oder «I ha was gfunde». Da können ältere Semester Wutausbrüche «bechoo», dass es den Jungen «peinlich» statt «piinlich» ist.
Was ist da passiert?
Nichts eigentlich, ausser, dass seit dem Zweiten Weltkrieg nebst den politischen und wirtschaftlichen auch die kommunikativen Grenzen gefallen sind. Der Einfluss des Hochdeutschen auf unseren Alltag ist enorm gestiegen, Zeitungen, Radio, TV und Internet sei Dank. Zudem haben die vielen Zuwanderer und unsere eigene Reiselust den Kontakt zu Fremdsprachigen vervielfacht. Wir lesen, schreiben und reden heute mit immer grösserer Selbstverständlichkeit die Standardsprache.
Englische Ausdrücke, eigenartige Pluralformen oder Germanismen: Der schöne Schweizer Dialekt geht bachab. Wie schlimm steht es um unsere Sprache? Nadia Zollinger ist besorgt, doch SRF-Dialektforscher Markus Gasser sieht die ganze Sache lockerer.
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Polyglotte Kinder schon im Vorschulalter
Unsere «Binggisse» lernen heute schon in der Spielgruppe, mit «Gspöndli» aus aller Sprachwelt Hochdeutsch zu parlieren, und sie ziehen sich hochdeutsche Geschichten und Filme auf allen möglichen Kanälen rein. So kommen coole neue Wörter nicht bloss aus Amerika, sondern auch aus Deutschland in unsere Dialekte. Und das wirkt für Erwachsene zuweilen «voll krass, Brudi!»
Nun haben Schweizer und Schweizerinnen traditionell ein eher verkrampftes Verhältnis zum «grossen Kanton», seit Jahrhunderten schwankend zwischen Selbstbewusstsein und Minderwertigkeitsgefühl. Die sprachliche Abgrenzung gen Norden ist sogar ein wichtiger Grund, warum sich die Mundart überhaupt so gut halten konnte. Denn Schweizerdeutsch ist zu einem Identitätsmerkmal geworden.
Germanismen sind ein alter Hut
Verständlich die Angst und die Abwehr, wenn dieses immaterielle Denkmal nun scheinbar vom Hochdeutschen durchlöchert wird. Andererseits zeugt die unbekümmerte Integration von Germanismen in die Mundart von einer Entkrampfung des Verhältnisses, vor allem bei Jüngeren.
Ausserdem ist das alles gar nicht so neu. Seit sich im 18. Jahrhundert eine deutsche Standardsprache etablierte, wirkt diese auf unsere Mundarten ein. Kontinuierlich wandert etwa die «Butter» aus der Nordostschweiz Richtung Südwesten und treibt den «Anke» vor sich her. Die Stadtbasler haben «Khinder», die Walliser essen ein «Früestuck» und die Luzerner sagen «wäil» und «viläicht». Germanismen schleichen sich also schon lange ein. Trotzdem sind sie nicht der Untergang der Mundart. Jedenfalls dann nicht, wenn man weiterhin «goot go schaffe» und «Härdöpfel mit Rüebli» kocht.