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Sprachwechsel In Graubünden entstehen gerade neue Dialekte

Wo Orte von Rätoromanisch zu Deutsch wechseln, wird nicht etwa Churerdeutsch gesprochen, sondern es entstehen ganz neue Dialekte mit verschiedenen Einflüssen. Das zeigt die Sprachforschung.

Etwa 40'000 Personen sprechen heute die vierte Landessprache Rätoromanisch. Vor 60 Jahren waren es noch um die 50'000. Ein Rückgang um einen Fünftel, während die Schweizer Gesamtbevölkerung um die Hälfte wuchs.

Ein Grund für diesen Rückgang: In den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten haben ganze Dörfer und Regionen von Rätoromanisch zu Schweizerdeutsch gewechselt. Nun könnte man denken, dass die Menschen in diesen Regionen beginnen, den dominantesten Bündner Dialekt, das «Khuurertüütsch» zu sprechen. Aber das stimmt nicht, wie sprachwissenschaftliche Untersuchungen zur Region Heinzenberg/Domleschg am Hinterrhein zeigen.

Dort wechselten im 20. Jahrhundert mehrere Dörfer von Rätoromanisch zu Schweizerdeutsch, etwa Scharans oder Sarn. Heute gibt es dort fast keine Rätoromanischsprachigen mehr.

Von Rätoromanisch zum Misch-Schweizerdeutsch

In den 1980er-Jahren untersuchten Sprachforscher das neue Schweizerdeutsch im Gebiet Heinzenberg/Domleschg und stellten fest, dass sich dieses vom dominanten Churerdeutsch, aber auch vom Dialekt des benachbarten und schon seit Jahrhunderten deutschsprachigen Thusis unterscheidet.

Panoramablick auf die Region Domleschg
Legende: In Graubünden sprechen immer weniger Menschen Rätoromanisch. Keystone / Arno Balzarini

Es war offenbar eine Art regionales Misch-Schweizerdeutsch entstanden, mit Elementen aus dem Churer Rheintaler und dem Thusner Dialekt, aber auch aus einer benachbarten Walsermundart. Sogar Elemente aus dem Hochdeutschen fanden die Sprachforscher – so sagten einige Leute etwa «teilweise» statt «dailwiis» oder «eine Sage» statt «a Saag».

Zudem fanden sie Entlehnungen und sogar wörtliche Übersetzungen aus dem Rätoromanischen wie etwa «er macht si lacha» statt «er bringt si zum Lacha». Und auch Abweichungen bei den Fällen und Artikeln fielen den Sprachforschern auf, so etwa «im Berge gange» statt «in d Berge gange» oder «en Ei» statt «es Ei» – typische «Fehler» von Nicht-Muttersprachlern.

Den neuen Dialekten auf der Spur

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Unter dem Titel «BOND – Birth of new dialects?» erforscht Professorin Anja Hasse von der Universität Zürich die neu entstehenden Dialekte in Sprachwechselgebieten in Graubünden. Konkret vergleicht sie das Schweizerdeutsch im Gebiet Heinzenberg/Domleschg mit demjenigen im Büdner Oberland (Surselva). In der Surselva werden ausserdem Unterschiede zwischen dem Schweizerdeutsch von Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern und dem von Rätoromanischsprachigen untersucht.

Eine weitere interessante Beobachtung war, dass sich das Schweizerdeutsch im Gebiet Heinzenberg/Domleschg in den 1980er-Jahren stärker von Person zu Person unterschied als in Regionen, wo seit jeher Schweizerdeutsch gesprochen wird. Vielleicht, weil die Rätoromanischsprachigen mit ganz unterschiedlichen Leuten mit unterschiedlichen Dialekten Kontakt hatten und von diesen verschiedene Dialektmerkmale übernommen hatten.

Vom Misch-Schweizerdeutsch zum regionalen Dialekt

Das hat sich mittlerweile geändert. Die Bündner Sprachwissenschaftlerin Anja Hasse hat 2024 neue Befragungen im Gebiet Heinzenberg/Domleschg gemacht und festgestellt, dass sich das dortige Schweizerdeutsch im Vergleich zu den 1980er-Jahren vereinheitlicht hat. Die Fall- und Artikelfehler sind verschwunden, genau wie die hochdeutschen Elemente. Dafür sind die Einflüsse des Thusner und des Churer Rheintaler Dialekts stärker geworden. Die Mundart hat sich also gefestigt und in die regionale Dialektlandschaft eingegliedert.

Eine ähnliche Entwicklung dürfte einst auch der Churer Rheintaler Dialekt genommen haben. Dieser entstand vor Jahrhunderten im Kontakt von deutschsprachigen Zuzügern, die das abgebrannte Chur neu aufbauten, und ansässigen Rätoromanischsprachigen.

Ob sich derselbe Prozess in weiteren Bündner Regionen, in denen sich Schweizerdeutsch ausbreitet, gerade am wiederholen ist, untersucht Anja Hasse in einem Forschungsprojekt.

Radio SRF 1, Dini Mundart, 21.11.2025, 9:40 Uhr

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