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Mit Dürrenmatt zu Tisch «Die Schweizer essen immer zu wenig»

Heute könnte der grosse Schweizer Autor Friedrich Dürrenmatt seinen 100. Geburtstag feiern. Das Festessen hätte er sich weniger festlich, als deftig und üppig gewünscht.

Er sitzt an einem gedeckten Tisch, allein. Sein Freund und Lieblingswirt Hans Liechti serviert ihm eine riesige Berner Platte. Dürrenmatt sagt nur halb im Scherz: «Isch das aues?». Er verlangt danach noch ein Kotelett oder lieber grad zwei. Und fügt hinzu: «Die Schweizer essen immer zu wenig.»

Diese kulinarische Urszene ist in verschiedenen Filmporträts über Friedrich Dürrenmatt festgehalten. Sie sagt einiges aus über den grossen Schweizer Autor, Maler und Denker, der an diesem 5. Januar vor 100 Jahren in Konolfingen zur Welt kam und dieser Welt durch seine Werke noch lange erhalten bleiben wird.

Eine «Fressarie» im ersten Theaterstück

Er bezeichnete sich selber als «literarisches Schlachtfeld» - da verwundert es kaum, wenn er auch eine monströse Berner Schlachtplatte liebte. Er mochte es deftig, blutig, grotesk, machte sich einen Spass daraus, Familienangehörige zu schocken, indem er sich wünschte, in einem Sarg, aufgefüllt mit Wienerli, begraben zu werden.

Schlachtplatte
Legende: Er bezeichnete sich selber als «literarisches Schlachtfeld» - da verwundert es kaum, wenn er auch eine monströse Berner Schlachtplatte liebte. Keystone

Dürrenmatts Texte sind gespickt mit kulinarischen Szenen und Bildern. Schon sein erstes aufgeführtes Stück «Es steht geschrieben» enthält eine «Fressarie», in der ein Loblied auf teilweise sonderbare Genüsse wie Walliser Blindschleichen und leichtgekochte Schwalbeneier erklingt.

Eine fette Zigarre zur Suppe

Ein befreundeter Schauspieler hat ihn einmal bei einem Essen in der Zürcher «Kronenhalle» beobachtet. Dürrenmatt löffelt Bouillon und isst dazu Siedfleisch. Doch er ist ganz versunken in ein Stück, zu dem am Schauspielhaus schon die Proben laufen.

Plötzlich beginnt er, während er noch die Suppe schlürft, eine fette Zigarre anzuzünden. Und wie abwesend zerrupft er dazu ein Bürli, stopft es in sich hinein – für einen schweren Diabetiker wie ihn eigentlich tabu. Aber Dürrenmatt konnte beim Essen alles um sich vergessen. Beim Schlemmen kam seine Fantasie in Gang und schenkte ihm unvergängliche Einfälle.

Sammler von «Witwenwein»

Er war ein Gourmand, der gerne viel ass. Beim Trinken entwickelte er sich zum Gourmet. Das Stück «Der Besuch der alten Dame» machte Dürrenmatt bereits in den späten 1950er Jahren weltberühmt und vermögend. Das Geld investierte er nicht zuletzt in Bordeaux-Weine. Er kaufte ganze Keller von verstorbenen Sammlern auf, nannte das seinen «Witwenwein».

Selbst wenn er ins Spital musste, lieferte er sich nicht ohne einige Flaschen Margaux, Mouton-Rothschild oder Latour ein. Als Dürrenmatt am 14. Dezember 1990 starb, hinterliess er seiner zweiten Frau Charlotte Kerr kaum noch Witwenwein. Die allermeisten Flaschen seines Kellers waren längst «gebodigt».

Friedrich Dürrenmatt liebte Essen und Trinken und feine Zigarren gerade wegen ihrer Vergänglichkeit. Denn nur aus Vergänglichem konnte für ihn Bleibendes entstehen. Oder wie er es ausdrückte: «Nur das Nichtige hat Bestand.»

Radio SRF 1, A Point, 4. Januar 2021, 11:40 Uhr;

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