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Verzicht aufs Reisen «Wir bleiben daheim» – für viele sind Ferien unerreichbar

Rund eine Million Menschen in der Schweiz können nicht ohne Weiteres verreisen – aus finanziellen oder gesundheitlichen Gründen. Zwei Geschichten, die nachdenklich machen.

Wie wärs mit Strandferien in Italien, einem Städtetrip nach Kopenhagen oder doch Wanderferien in der Schweiz? Für die meisten Menschen gehört das Verreisen in den Ferien einfach dazu. Laut dem Bundesamt für Statistik verreisen 89 Prozent der Schweizer Wohnbevölkerung mindestens einmal pro Jahr.

Davon kann Maria (Name der Redaktion bekannt) nur träumen. Sie gehört zu den elf Prozent der Bevölkerung, also zu rund einer Million Menschen, die nicht verreisen. Die Gründe dafür sind vielfältig: körperliche Einschränkungen, berufliche Verpflichtungen, psychische Belastungen oder, wie bei Maria, finanzielle Hürden.

Wenn das Geld für Ferien fehlt

Die alleinerziehende Mutter arbeitet zu 50 Prozent und wird vom Sozialamt unterstützt. Nach Abzug von Miete, Strom und weiteren Fixkosten bleiben ihr und ihrem Kind monatlich 600 bis 800 Franken. Geld auf die Seite zu legen, ist kaum möglich – erst recht nicht für Ferien.

Manchmal ist es traurig, wenn man mit ansehen muss, wie andere nur entscheiden müssen, wohin sie als Nächstes in die Ferien fahren.
Autor: Maria (Name der Redaktion bekannt) Alleinerziehende Mutter

Trotzdem gelingt es ihr, während der Schulferien Ausflüge für ihr Kind zu organisieren. Ihr ist wichtig, dass ihr Kind etwas erleben kann – auch wenn sie nicht verreisen können.

So waren sie etwa am Rheinfall oder haben eine Burg besichtigt: «Wir gehen auch gerne in einem Fluss oder See baden, grillieren oder machen Wanderungen. Daran hat mein Kind grosse Freude.»

Viele Familien müssen auf Ferien verzichten

Marias Situation ist keine Ausnahme. Laut dem Familienbarometer 2025 muss ein Teil der Familien in der Schweiz auf Ferien verzichten. Fast die Hälfte aller Schweizer Ein-Eltern-Haushalte ist betroffen, bei Zwei-Eltern-Familien sind es rund 40 Prozent.

Ferien sind der häufigste Bereich, in dem gespart wird – noch vor Freizeit, Konsum oder Kultur. Laut der Befragung hat sich die finanzielle Lage im Vergleich zum Vorjahr weiter verschärft: Gründe sind steigende Lebensmittel- und Energiepreise, höhere Krankenkassenprämien, Wohnkosten und unerwartete Ausgaben wie Arztrechnungen oder Reparaturen.

Diese Organisationen bieten Unterstützung

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In der Schweiz gibt es einige Organisationen, die Menschen unterstützen, die sonst kaum verreisen können. Dazu gehören unter anderem:

  • Stiftung Denk an mich
    Die Stiftung ermöglicht Menschen mit Behinderungen Ferien und Freizeitaktivitäten, die sie sich sonst nicht leisten könnten. Unterstützt werden auch Begleitpersonen und Familienangehörige – für mehr Teilhabe und Lebensqualität.
  • Reka Stiftung Ferienhilfe
    Jedes Jahr können rund tausend armutsbetroffene Familien eine Woche Ferien in der Schweiz machen, dank Reka-Feriendörfern oder Jugendherbergen. Spezielle Programme wie Mama plus oder Väter-Kinder-Wochen richten sich gezielt an Alleinerziehende.
  • Winterhilfe Schweiz
    Die Organisation unterstützt Familien mit geringem Einkommen bei der Nutzung des Reka-Angebots. Für 200 Franken erhalten sie eine Woche Ferien inklusive Unterkunft, Reinigung und Reisekostenbeitrag – entweder in einem Reka-Feriendorf oder in einer Jugendherberge.
  • Caritas Schweiz
    Caritas Schweiz bietet in Zusammenarbeit mit Partnern vergünstigte Ferienwochen für armutsbetroffene Familien an – oft mit Kinderbetreuung, Freizeitprogramm und psychosozialer Unterstützung.
  • Schweizerisches Rotes Kreuz (SRK)
    Das SRK organisiert betreute Ferienwochen für pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen. Ziel sind Entlastung, Erholung und soziale Teilhabe – auch für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen.

Auch in Marias Umfeld können sich viele keine Ferien leisten. Das stimmt sie nachdenklich: «Manchmal ist es traurig, wenn man mit ansehen muss, wie andere nur entscheiden müssen, wohin sie als Nächstes in die Ferien fahren.»

Ihr Kind hingegen bekomme davon wenig mit. «Mein Kind geniesst die Zeit, die wir gemeinsam verbringen. Das ist das Schöne an Kindern – sie sind glücklich, wenn man ihnen Zeit schenkt, egal wo.» Trotzdem hofft Maria, dass sich ihre finanzielle Lage verbessert und sie eines Tages doch noch gemeinsam verreisen können.

Ferien allein reichen nicht als Erholung

Wie wichtig sind Ferien für unsere Erholung überhaupt? «Ferien sind grundsätzlich wichtig – aber ihre Wirkung ist oft nur von kurzer Dauer», sagt der Arbeitspsychologe Norbert Semmer.

Nach wenigen Wochen sei der Erholungseffekt meist wieder verpufft. Deshalb sei es entscheidend, nicht nur auf Ferien zu setzen, sondern auch im Alltag gezielt für Ausgleich zu sorgen.

Gerade Menschen, die sich keine Reise leisten können, seien nicht automatisch schlechter erholt. Gemäss Semmer kommt es viel mehr darauf an, ob sie sich kleine Auszeiten schaffen können, etwa durch Ausflüge in die Natur oder andere Aktivitäten, die Freude bereiten: «Solche Momente können auch zur Erholung beitragen.»

Wer nicht verreist, fällt auf

Allerdings ist das Thema Ferien längst nicht nur eine Frage der Erholung. Es hat auch eine soziale Dimension. Wer nicht verreist, merkt oft, wie stark Ferien mit Status und Zugehörigkeit verknüpft sind.

Wenn sich die Familie beispielsweise keine Ferien leisten kann und die Schulfreunde der Kinder von ihren Ferienerlebnissen erzählen. «Das macht einem immer wieder deutlich, in welcher Situation man ist», sagt der Arbeitspsychologe.

Spontan verreisen? Für Aslihan unmöglich

Für Aslihan Kartal ist das Reisen mit grossen Herausforderungen verbunden. Die 28-Jährige hat eine neurologische Erkrankung und ist auf einen Rollstuhl angewiesen.

Im Alltag benötigt sie Hilfe. «Im Vergleich zu einem Fussgänger brauche ich beispielsweise immer eine Zweitperson wie den Busfahrer, der mir die Rampe ausfährt», sagt sie. Wenn sie Zug fahren möchte, muss sie eine Stunde im Voraus bei der SBB anrufen. Spontanität? Unmöglich!

Normalerweise verzichtet Aslihan Kartal auf Ferien. Doch im Februar 2025 entschied sie sich, für ein Konzert nach Berlin zu fahren. Ein Freund, der die Stadt gut kennt, bot an, mitzukommen. Denn allein kann sie nicht verreisen.

Sie begann, die Reise zu planen. Als das Konzert kurzfristig abgesagt wurde, entschied sie sich trotzdem für die Reise: «Ich hatte alles schon gebucht.»

Hotelsuche mit Hindernissen

Die Reiseplanung war aufwendig: «Für die dreitägige Berlin-Reise musste ich ein halbes Jahr im Voraus mit der Planung beginnen», sagt Kartal. Sie telefonierte zahlreiche Hotels ab, um herauszufinden, welche wirklich barrierefrei sind. Auf die Informationen der Buchungsplattformen kann man sich meist nicht verlassen, sagt sie.

Wenn du genug Geld hast, ist es nicht schwierig, ein barrierefreies Hotel zu finden. Aber wenn du aufs Geld schauen musst, schon.
Autor: Aslihan Kartal Hat eine neurologische Erkrankung

Ein Rollstuhl braucht Platz. So muss ein barrierefreies Hotel beispielsweise ausreichend breite Türen und Gänge, genug Platz im Lift und genügend Bewegungsfläche im Zimmer selbst bieten. Das Bett muss genug hoch sein für einfaches Umsetzen.

Es braucht eine ebenerdige Dusche mit Duschsitz und Haltegriffen sowie einem Griff an der Toilette. «Wenn du genug Geld hast, ist es nicht schwierig, ein barrierefreies Hotel zu finden. Aber wenn du aufs Geld schauen musst, schon», sagt die 28-Jährige.

Wenig Verständnis vom Zugpersonal

Auch die Zugreise verlief nicht reibungslos. Als sie einstieg, bat sie den Schaffner um Hilfe – dieser reagierte mit Unverständnis: «Er fragte mich ernsthaft, ob mein Kollege mich im Rollstuhl nicht über die Stufen in den Zug ziehen kann.»

Nicht nur die Organisation ist eine Herausforderung, auch ihr Gesundheitszustand. «Nach Berlin war ich so erschöpft, dass ich eine Woche brauchte, um mich zu erholen», sagt Kartal.

Für die 28-Jährige ist klar: Reisen mit dem Rollstuhl erfordert viel Planung, ist aber nicht unmöglich. «Meiner Meinung nach muss aber jeder Mensch mit Beeinträchtigungen selbst abwägen, wie viel ihm eine Reise wert ist», sagt sie.

Radio SRF 1, «Treffpunkt», 13.8.2025, 10:00 Uhr;brus

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