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Zukunft der Bergdörfer Leben in den Bergen – zu welchem Preis?

Der Gletschersturz im Walliser Blatten hat nicht nur Häuser zerstört, sondern ein ganzes Lebensumfeld. Während die Gemeinde den Wiederaufbau plant, stellt sich schweizweit die Frage: An vertrauten Orten bleiben – oder an sicherer Stelle neu beginnen und zu welchem Preis?

Der Berg hat alles mitgerissen. Was noch steht, ist die Frage: Wie soll es weitergehen? Kanton und Gemeinde wollen das Bergdorf wieder aufbauen. Doch nicht alle halten das für sinnvoll – zumindest nicht am ursprünglichen Ort.

Die Risiken bleiben, die Kosten sind enorm, der Wiederaufbau ist komplex. Gleichzeitig ist für viele klar: Blatten ist nicht irgendein Ort, sondern Heimat. Die emotionale Bindung wiegt schwer. Kann man so einen Ort überhaupt «neu denken»?

Debatte zur Unzeit – oder notwendiger Realismus?

Der Walliser Bote kritisiert, dass kaum vier Tage nach dem Ereignis bereits über einen Rückzug aus den Bergen diskutiert werde. Sein Chefredaktor spricht von einem «bedenklichen Angriff auf Bergdörfer» und zieht einen Vergleich zur Credit Suisse: Milliarden zur Bankenrettung, aber Rückzugspläne für Berggemeinden?

Nationalrat Philipp Matthias Bregy (Mitte) schlägt in dieselbe Kerbe. Wer Hochtäler aufgeben wolle, nehme den Menschen ihre Wurzeln. Für ihn ist die Debatte nicht nur unangebracht, sondern zutiefst pietätlos.

Fachliche Stimmen mahnen zur Differenzierung

Boris Previšić, Direktor des Urner Instituts Kulturen der Alpen, hält dagegen: Es gebe keine sachlichen Gründe, ganze Täler aufzugeben – viele Orte seien sicher. Entscheidend sei eine sorgfältige Gefahrenanalyse. Dort, wo ein Wiederaufbau zu riskant wäre, müsse man ehrlich über Alternativen sprechen. Nicht aus Hartherzigkeit, sondern aus Verantwortung.

Der Geologe Hans Rudolf Keusen verweist auf ähnliche Fälle: Gondo 2000, Brienz 2023. Solche Ereignisse häufen sich – nicht nur, aber auch wegen des Klimawandels. Taut der Permafrost, verlieren Felsen ihre Stabilität. Massive Fels- und Eismassen kommen ins Rutschen. Schutzbauten allein reichen oft nicht mehr aus.

Kosten, Verantwortung – und die Frage der Gerechtigkeit

Die Diskussion dreht sich auch um Geld. Der Wiederaufbau wird teuer, das ist unbestritten. Manche fragen sich, ob es verantwortbar ist, solche Summen für ein Dorf am Ende eines Tals auszugeben. In der NZZ am Sonntag war von der «Empathiefalle» die Rede: Gut gemeint, aber ökonomisch unvernünftig.

Landschaftsbild für immer verändert

Der Hang oberhalb von Blatten, wo bis vor kurzem Kühe weideten, ist jetzt eine Wüste aus Schutt und Eis. Wie lange wird es dauern, bis dort wieder Leben möglich ist? Jahre, vielleicht Jahrzehnte. Oder nie. Die Natur hat das Gesicht der Region unwiderruflich verändert. Ein Wiederaufbau an gleicher Stelle scheint kaum denkbar – doch wohin dann?

Wie weiter – und für wen?

Die Debatte ist grundsätzlich: Wie gehen wir mit der Verletzlichkeit unserer Gebirgsräume um? Welche Rolle spielt Tradition, welche spielt Sicherheit? Und wie solidarisch ist eine Gesellschaft, wenn es ums Überleben abgelegener Gemeinden geht?

Diskutieren Sie mit

Wie viel ist uns ein sicheres Leben in den Bergen wert und wo endet das, was machbar, bezahlbar und vernünftig ist? Diskutieren Sie jetzt in den Kommentaren.

Gäste in der Sendung

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Legende: SRF

Am Donnerstag, 5. Juni 2025, 10.00 bis 11.00 Uhr, diskutiert Sandra Schiess mit folgenden Gästen:

  • Boris Previšić, Alpenkulturforscher, Professor für Literatur- und Kulturwissenschaft, Direktor des Urner Instituts Kulturen der Alpen
  • Hans Rudolf Keusen, Geologe, Schweizerischer Alpen-Club SAC
  • Adolf Ogi, alt Bundesrat

Online: Mark Schindler



Radio SRF1, 3. Juni 2025, 16.20 Uhr

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