«Meine Kaffeetasse muss zum Outfit passen», sonst wird das kein guter Tag. «Ich versuche jede Unterhose gleich oft zu tragen» oder «ich kann erst aus dem Auto aussteigen, wenn der Song zu Ende ist.» Erkennen Sie sich wieder? Viele von uns haben das eine oder andere «Alltagsmödeli».
Selbst Experten, die das menschliche Verhalten erforschen, kommen nicht um sie herum. «Ich versuche nicht auf die Ritzen oder Fugen zwischen zwei Platten zu stehen», sagt Peter Brugger. Er ist emeritierter Professor für Verhaltensneurologie und Neuropsychiatrie an der Universität Zürich. Oft hätten solche Rituale etwas spielerisches.
Rituale geben ein Sicherheitsgefühl
Doch wieso ticken wir so wie wir ticken? Wieso ziehen wir vor wichtigen Auftritten immer dieselben Socken an? «Es gibt uns Sicherheit», weiss Brugger. «Würden wir sie nicht tragen oder würden wir vergessen das Spielchen mit den Fugen zu machen, dann wären wir gestresst.» Es kann sogar sein, dass wir dann tatsächlich etwas vermasseln. Solange wir aber ein «Mödeli» durchführen, haben wir die Sache unter Kontrolle. Zumindest gefühlt.
Erinnern wir uns zum Beispiel an Rafael Nadals Aufschläge im Tennis. Er praktizierte immer dieselbe Vorbereitung. Im Sport sind solche Rituale häufig, weiss Neuropsychologe Brugger. «Wenn sie einem Gewichtheber, der vor dem Griff zur Hantel immer auf den Boden spuckt, diesen Tick verbieten, wird seine Leistung schlechter sein.» Das kann man objektiv nachweisen.
Von Marotten zum Zwang
Doch zurück zum Einstiegsbeispiel mit der farblich abgestimmten Kaffeetasse. Wird es tatsächlich nur mit der richtigen Tasse ein guter Tag? Nein. Wir glauben, nur wenn wir A machen, wird auch B gut kommen. Das ist eine falsche Beurteilung von Kausalitäten. «Es sind nur Korrelationen», erklärt Brugger. «Illusionen können schön sein für das Leben des Einzelnen. Sie sind aber völlig irrational und eigentlich ein Aberglaube.»
Die Grenze zwischen Glaube und Aberglaube sei aber fliessend. Und gleich verhalte es sich auch beim Übergang von Alltags-Mödeli zu Zwängen. «In den meisten Fällen sind solche Rituale etwas spielerisches. Solange sie nicht den halben Tag einnehmen, völlig in Ordnung.» Doch wenn eine Angewohnheit unser Leben negativ beeinflusst, dann wird es problematisch.
Ein Beispiel: Sie kontrollieren fünf Mal, ob die Haustüre abgeschlossen ist. Deshalb kommen Sie zu spät zur Arbeit. Dies aber nicht nur einmal, sondern fast täglich. Ein (nicht ausgeführtes) «Mödeli» dürfe nicht zu einem Leidensdruck führen. «Wenn ein Ritual obsessiv wird, wenn es sie selber stört oder mit ihrem Alltag interferiert, ist es wohl sinnvoll, einen Psychotherapeuten aufzusuchen», so der Fachmann.