Nach Absprache mit dem Erdbeerbauern nebenan habe man beschlossen, das Festival von Anfang Juni auf Anfang September zu verlegen. Kein grosses Tamtam. Wie eigentlich sowieso nie in Düdingen. Der Musikklub Bad Bonn ist klein. Das Dorf auch. Der See und der Strand ebenso. Gross sein, das können die anderen.
Wir machen nicht jeden 'Seich' mit. Die Musik bleibt im Vordergrund.
Rund 2000 Menschen fasst die Kilbi pro Tag. Der Pressetext meint lakonisch «not bad for a festival». Und ja natürlich hat man das alles schon gehört: Der Kult, das Understatement, die Entdeckungsfreude. Die Kilbi macht jedes Jahr das gleiche, aber eben anders. «Wir machen nicht jeden 'Seich' mit. Die Musik bleibt im Vordergrund. Wir haben keine Deko und keine VIPs. Wichtig sind alle Menschen hier, guter Sound, und alles soll in Balance sein.» So bringt es Kilbi-Gründer Daniel Fontana auf den Punkt.
Bad Bonn Kilbi 2025: Die Highlights der «Sounds!»-Redaktion
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Bild 1 von 8. Dafür sind alle da: Auf drei unterschiedlich grossen aber gleich kargen Bühnen spielt an der Kilbi pausenlos Musik. Bildquelle: Noëlle Guidon.
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Bild 2 von 8. The Young Gods: Wenn das legendäre Schweizer Industrial-Trio um Franz Treichler aufspielt, bebt die Erde. Bildquelle: Noëlle Guidon.
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Bild 3 von 8. Panic Shack: Das Quartett aus Wales bescherte der Kilbi 2025 den typischen «das nächste grosse Ding»-Moment. Inklusive spektakulärem Überschlag-Stagedive einer Zuschauerin. Bildquelle: Jeremie Luke/Bad Bonn Kilbi.
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Bild 4 von 8. Titanic: Kolossale Klangkaskaden, gebaut aus Dissonanzen, Melodramen und südamerikanischen Albträumen – die Band um Mabe Fratti und Hector Tosta sprengt alle Erwartungen und Grenzen. Bildquelle: Noëlle Guidon.
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Bild 5 von 8. Forsissies: Eine packende Persiflage auf die von Männerbildern geprägte Rockwelt. Bildquelle: Noëlle Guidon.
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Bild 6 von 8. Michelle Gurevich: Eine Etüde in magischer Zurückhaltung. Die erste Hälfte der Show war zu leise, die andere grossartig. Bildquelle: Noëlle Guidon.
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Bild 7 von 8. REA: Wenn die Bieler Sängerin und Komponistin Rea Dubach in funkelnder Sonnenlichtbucht unten am Schiffenensee die Harfe zupft, werden Meerjungmenschen heraufbeschwört. Bildquelle: Noëlle Guidon.
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Bild 8 von 8. Beaks: Worte werden zum Instrument, die Attitüde zur Kulisse einer Show, welche die Grenzen des Indie-Rocks verschiebt. Bildquelle: Noëlle Guidon.
Der Jahrgang 2025 war elektronischer und gefühlt noch schwerer und intensiver also sonst. Das liegt auch daran, dass man vor den zwei verhältnismässig kleinen Zeltbühnen und der noch kleineren Clubbühne der Musik kaum entkommen kann. Zum Glück. Auch wenn hier nicht nur makellose Highlights geboten werden.
Radikal nach vorne
Die Tickets für die Bad Bonn Kilbi sind jedes Jahr innert Sekunden ausverkauft, noch bevor das Programm öffentlich gemacht wird. Die Namen auf dem Poster sind im Vorfeld also nahezu irrelevant, und sie alle zu kennen, ist ohnehin unmöglich.
Wir versuchen nicht, grosse Momente von früher zu wiederholen, sondern wollen Neues entdecken.
Das Vertrauen in die Köpfe hinter dem Programm genügt. Einer davon ist Maisch Gosteli: «Wir sind un-nostalgisch. Die neuste Ausgabe ist immer die wichtigste. Das zwingt uns frisch und aktuell zu bleiben. Wir versuchen nicht, grosse Momente von früher zu wiederholen, sondern wollen Neues entdecken.»
Diversität als Selbstverständlichkeit
Es ist auch dieses Jahr auffallend, wie divers – musikalisch und menschlich – das Programm und damit auch das Publikum ist. Klassik, Ambient, Noise, Jazz, Pop, Hardcore Punk, Rap, Elektroakustik, Rave: Der wilde und explizit von FLINTA*-Personen geprägte Mix legt über die drei Tage eine positive Spannung in die Luft.
6 Dinge, welche die Kilbi einzigartig machen
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Bild 1 von 7. «Where the Hell is Bad Bonn?» – Der Leitspruch prangt über allem: Wo zur Hölle sind wir hier gelandet? Acts staunen über das Niemandsland, das Publikum geniesst die Landluft. Bildquelle: Noëlle Guidon.
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Bild 2 von 7. Immersive Konzerterfahrungen: DJ Ilayda Zeyrek vom «Schrei Nicht So Orkestra» aus Luzern verteilte sich mit ihren Orchester im das Publikum. Bildquelle: Noëlle Guidon.
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Bild 3 von 7. Festival-Residenzen: Der Berliner Elektro-Musiker Chris Imler und die belgische Produzentin Noemie Klaus kamen für eine 5-tägige «Residency» nach Freiburg, um ihre Show vor Ort zu gestalten. Resultat: 1 neuer gemeinsamer Song, uraufgeführt am Kilbi-Samstag. Bildquelle: Noëlle Guidon.
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Bild 4 von 7. Keine Lasershows: An der Kilbi bekommen alle die gleiche Bühne ohne grosse Kulissen oder Lichteffekte. Rapperin Nathalie Fröhlich fuhr zum Showstart mit dem selber mitgebrachten «Twike» ein. Bildquelle: Noëlle Guidon.
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Bild 5 von 7. Seelenwohl: Die vierte Bühne am «Beach» ist nicht mehr als ein paar Bretter und Strom. Das heimliche Juwel direkt am versteckten See bietet ultra-intime Konzertmomente zu denen man baden oder schlummern kann. Bildquelle: Noëlle Guidon.
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Bild 6 von 7. Die Umgebung wird zum Instrument: Norbert Möslang, der St. Galler Elektronik-Übervater mikrofoniert die Wasserpumpe, bzw. den «Widder», im Wald hinterm See – entlockt dem unterirdischen Pumpen-Klopfen gnadenlose Rave-Beats und paradiesisches Feedback. Bildquelle: Christopher Curtis.
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Bild 7 von 7. Keine Deko, sondern Kunst: Diverse Installationen laden an der Kilbi und in deren Umgebung zum Verweilen ein. Bildquelle: Noëlle Guidon.
Der Mut zum Risiko ist gross, und zwar auf beiden Seiten der Kilbi. Einerseits geben die Programmacher viel Kontrolle ab, lassen den Musikerinnen und Musikern Raum für Experimente und Premieren. Und andererseits findet das Publikum Stolz in seiner Geduld. Denn nur wer hier ist, hat's erlebt.
Dabei sein ist alles
Das Wir-Gefühl an der Bad Bonn Kilbi ist enorm. Technische Pannen oder schlecht abgemischter Sound? Wir bleiben beharrlich. Zum bersten gefüllter Bühnenraum und Crowdsurfing? Wir feiern es. Die Musik trifft meinen persönlichen Geschmack nicht? Wir diskutieren am grossen Kilbi-Feuer.
Ich würde das hier als Befreiungsbewegung taxieren. Man wehrt sich gegen Vereinnahmung.
Der Berliner Elektro-Musiker Chris Imler bewegt sich seit Jahrzehnten im weltweiten Untergrund. Dieses Jahr durfte er an der Bad Bonn Kilbi gleich mehrere Tage lang eine Art künstlerische Residenz verbringen, die am Samstag in seinem Auftritt gipfelte. Sein Fazit: «Ich würde das hier als Befreiungsbewegung taxieren. Man wehrt sich gegen Vereinnahmung. Es entsteht ein Schutzraum für Special Interest-Sachen, was natürlich im Endeffekt genau jene Dinge sind, wovon der Mainstream gespeist wird.»
Und besonders jetzt, wo die Bad Bonn Kilbi zum Ende des Schweizer Festivalsommers stattfindet, spürt man ihre enorme Relevanz. Nach drei Monaten voller Megakonzerte, fantastischer Produktionen und Glückseligkeit für die Massen flüstert die Kilbi unüberhörbar: «Kommt mit, wir schauen mal, was als nächstes kommt.»