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Live am Stars in Town Alice Cooper: Horror in Schaffhausen

Das Alter steht seiner Rolle gut. Alice Cooper, der Ur-Vater aller Schock-Rock-Acts, spielt am Stars in Town eine fulminante Show zwischen blutigem Schabernack, musikalischer Präzision und einem zu erwartenden Kniefall.

Zwei Pestdoktoren wedeln über die Bühne. Der Vorhang fällt und Alice Cooper schneidet mit einem Säbel durch eine überdimensionale Zeitungsseite, auf der «Alice Cooper – verbannt aus der Schweiz!» geschrieben steht.

Die Zeiten, an denen vor seinen Konzerten noch Flyer verteilt wurden, die davor warnten, mit dem Konzertbesuch die Seele Satan preiszugeben, sind definitiv vorbei.

Die 4500 Leute auf dem Herrenacker wissen, dass sie nicht Satan, sondern Spass erwartet. Die berüchtigte Bühnen-Boa hat Alice Cooper zwar schon lange nicht mehr dabei, dafür gibt's Kunstblut, eine Zwangsjacke und eine Guillotine, die ihm kurz vor Show-Schluss den Kopf abhacken wird. Aber alles mit der Zeit.

Die perfekt durchdesignte Show

Erst wird durch eine Show gerattert, die theatralischer nicht sein könnte. Melodramatisch schwingt Alice Cooper sein Zepter zum Takt und streckt seine Hand im schwarzen Lederhandschuh zum vermeintlichen Kuss dem Publikum entgegen.

Vom kürzlich erschienenen Album «The Revenge of Alice Cooper» – eine Reunion mit seiner Ur-Band, die sich 1975 auflöste – spielt Cooper heute Abend nichts. Vermisst aber auch niemand: Die Setlist ist ein minuziös durchdesignter und sehr willkommener Höllenritt durch alle Hits seiner über 50-jährigen Karriere.

So wurde Alice Cooper zur Ikone

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In den frühen 1970ern machte Alice Cooper (von Frank Zappa unter Vertrag genommen) den Schock-Rock weltbekannt. Über die letzten 50 Jahre wächst er zum legendären Gruselrocker heran, der mit 77 Jahren immer noch unermüdlich auf Spinnenbeinen über die globalen Bühnen tänzelt.

Ein Mythos, so überlebensgross wie auch die Frankensteinfigur, die ganz am Schluss seiner Konzerte noch über die Bühne taumelt. Hollywood halt. Passender Triviafact an dieser Stelle: Alice Cooper gehört das letzte O des weltbekannten Hollywood Sign in Los Angeles. So viel zu Grösse.

Der erste Scheinmord

Zwischen jedem Hit wechselt Cooper sein Outfit. Bei «No More Mr. Nice Guy» präsentiert er sich zwischen seiner soloverliebten Gitarristenfront noch im Frack mit Rüschenhemd. Wenig später vibriert der König der Augenschminke während seinem wohl besten Song «I'm Eighteen» schon in der Rockerkluft über die Bühne.

Kurz vor «Hey Stoopid» stürmt eine Frau in der Rolle einer Paparazza die Bühne. Ihr Act: Sie soll Coopers grossartige Gitarristin Nita Strauss fotografieren. Schon schleicht sich ein maskierter Bühnenassistent an die Fotografin ran und schneidet ihr mit einer Trickmachete die Kehle durch. Kunstblut. Endlich.

Alice Cooper und Nita Strauss
Legende: Alice Cooper mit Star-Gitarristin Nita Strauss (39). Sie greift übrigens auch für Popstar Demi Lovato in die Saiten, ist eine der schillerndsten Rock-Gitarristinnen der USA und laut eigenen Angaben eine Nachfahrin des österreichischen Komponisten Johann «Radetzky-Marsch» Strauss. Sarina Reutemann

Und schon wird ein nächster Paparazzo von Cooper pseudo-erdolcht. Wäre diese Show korrekt, wäre es keine Alice-Cooper-Show.

Den Kopf verlieren, aber nicht den Spass

Rund um den Superhit «Poison» tanzt eine Domina mit Peitsche über die Bühne – und letztlich mündet das 90-minütige Rock-Theater konsequenterweise im Tod von Alice Cooper selbst. Nachdem sich Alice in einer Zwangsjacke die Seele aus dem Leib schreit, wird hinter den Pirouetten von Coopers Frau Sheryl (verkleidet als Marie-Antoinette in Corsage) die Show-Guillotine auf die Bühne gekarrt.

Schock-Rock im Wandel der Zeit

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Im Mainstream-Pop ist die theatralische Kreuzung aus Schrecken und Musik beinahe inexistent – zumindest findet man nirgends so Klischiertes wie bei Alice Cooper. In den Nischen jedoch ist der Grusel nicht totzukriegen. Im Metal und Rock liegt das Spiel mit dem Schaudern, den Masken und der Verwüstung auf der Hand, klar. Schillerndstes (und nicht unproblematisches), etwas jüngeres Aushängeschild aus dieser Ecke: Marilyn Manson.

Mit jungem und kontemporärem Anstrich gedeiht die Schock-Rock-Ästhetik aber auch an der Schnittstelle zwischen Rap und Metal. Im sogenannten Horrorcore tummeln sich Namen wie City Morgue, Ghostmane oder Scarlxrd, die mit globalem Appeal dem Trap den Gruselhut aufsetzen. Streckenweise alles Erben vom Cooper'schen Grusel-Konzept. Wobei nicht zu vergessen ist, dass auch Cooper selbst auf Schultern von Screamin' Jay Hawkins und Screaming Lord Sutch steht.

Und natürlich wird Mister Cooper nach der Enthauptung gleich wieder auferstehen. Die Show muss weitergehen. Jetzt ganz in Weiss gekleidet, bereit für das grosse Finale: «School's Out», der fulminante Höhepunkt der Show, bei dem der ganze Herrenacker mitsingt – ob hartgesottene Rockfans oder Teenies, die lauthals die Schule zum Teufel wünschen.

Was bleibt nach 90 Minuten Alice Cooper?

Ehrerbietung  ähnlich wie in der berühmten Filmszene von «Wayne's World» – für die wahrscheinlich präziseste Horrorshow der Welt. Erstaunen, wie trotz all dem Theater die Musik die Hauptrolle genoss.

Und das Ende, als Alice Cooper mit seiner Band «Paranoid» von Black Sabbath anstimmte – als Kniefall von Fürst der Finsternis zu (kürzlich verstorbenem) Fürst der Finsternis: Ozzy Osbourne.

Claudio Landolt

Musikjournalist

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Claudio Landolt arbeitet für SRF senderübergreifend als Musikjournalist mit einem Faible für Popkultur und Experimentalmusik. Er ist Teil der Sounds! Redaktion und fühlt sich auch vom Klang gurgelnder Radiatoren, dem klickenden Rhythmus von Elektrozäunen oder wabernden Regenschirmmembranen angesprochen.

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