Die Möwen segeln im Wind über der Seebühne. Sieben Minuten vor Showbeginn kippt das Wetter. Als wäre es geplant. Neil Young wäre demnach nicht nur einer der grössten Rockmusiker der Welt, sondern auch Wettermacher.
Neil Young am Montreux Jazz Festival 2025
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Bild 1 von 3. Neil Young in Montreux: Rockstar, Modeleisenbahn-Mogul und Sturmbeschwörer. Bildquelle: MJF / Lionel Flusin.
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Bild 2 von 3. Fast die ganze neue Band «The Chrome Hearts» – vlnr: Anthony LoGerfo (Drums), Micah Nelson (der jüngste Sohn von Willie Nelson an der Gitarre), Corey McCormick (Bass), Neil Young und leider hier nicht im Bild: Spooner Oldham (der Organist, der 1992 schon bei «Harvest Moon» mitwirkte). Bildquelle: MJF / Lionel Flusin.
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Bild 3 von 3. Welches Mikrofon von vieren darf es bitte sein? (Die zwei Knopf-Mics am Harmonika-Halter mal ausgeschlossen). Bildquelle: MJF / Lionel Flusin.
Beweise für diese Theorie gibt's einige: Am Paléo Festival 2013 zieht während seinem Set ein Sturm auf, zu dem er 40 euphorische Minuten lang «Like A Hurricane» spielt. Vor wenigen Tagen rissen pünktlich zu seinem Konzert in Norwegen die Wolken auf. In Montreux beschwört er kurz vor Start den Regen, der die ganze Woche ausblieb.
Laut? Erschütternd!
Was folgt, ist eine zweistündige Show der Superlative. Am Anfang seiner «Love Earth»-Tour steht aber die Akustikballade «Ambulance Blues». Sie wirft das mehrheitlich graumelierte Publikum und ihre Kinder zurück in «the old folky days».
Kaum schnallt sich Young seine «Old Black» E-Gitarre um, erklingt mit «Cowgirl in the Sand» der schönste Lärm der Rockgeschichte. Sein Gitarrenverstärker braucht auch auf der offenen Seebühne externe Ventilatoren, da er sonst überhitzt.
Während es 5000 Pelerinen im Wind aufbläht, donnert Youngs Gitarrensalve über den Genfersee und bringt am anderen Ende wohl auch den Jet d‘Eau zum Mitwippen.
Neues? Zeitloses!
Neu ist hier nur die Band «The Chrome Hearts», die den «Paten des Grunge» begleitet. Seine legendäre Hausband «Crazy Horse» bleibt zu Hause, weil auf der letzten Tour einige Mitglieder krank wurden. Seither spielt Young gerne im Freien. So ist das Ansteckungsrisiko gemindert und er kommt dem Wetter näher.
Songs von seinem aktuellen und 48. Album «Talking to the Trees» gibt's keine - dafür Klassiker: Von «Cinnamon Girl» über «Southern Man» bis «Old Man». Die Show gewinnt mit jedem Song einen Greatest-Hits-Charakter – und steigert damit das Gefühl, dass Young vielleicht das letzte Mal seine über hundertjährige Holzhütte in Kanada verlässt, um in Europa Konzerte zu spielen.
Moshpits? Kapuzenwippen!
Mit dem Song «Be The Rain» nimmt der Regen nochmals Fahrt auf. Die Pelerinen wippen im Takt, während Neil Young in seinem ausgebeulten Proto-Grunge Flanellhemd über die Bühne taumelt.
Mit buckliger Vorlage greift er in die Saiten, spickt von seinem Mikrofonarsenal rüber zum jüngeren Teil der Band und wieder zurück. Dass er bald 80 wird, sieht und hört man nicht. Erst wenn man den 82-jährigen Organisten Spooner Oldham rechtsaussen die Hammond streicheln sieht, wird bewusst, wie fit Young für sein Alter ist.
Politisch? Bedingt.
Kommuniziert wird fast ausschliesslich über die Regenstärke. Viel mehr als «Danke» und «Gebt einander Acht» sagt Neil Young heute nicht. Auch politische Aussagen bleiben aus. Während sich Bruce Springsteen auf Europatournee explizit mit Donald Trump anlegt, lässt Young nur seine alten Protesthymnen sprechen. Obwohl er auf dem neuen Album einen Song hat, in dem er explizit Elon Musk und Trump adressiert – nur spielt er ihn heute nicht.
Ein Konzert? Eine Andacht!
Die grössten Momente sind die andächtigen Balladen. Wenn etwa der ganze Platz «Harvest Moon» singt. Bevor plötzlich ein als Gespenstervogel verkleideter Synthesizer von der Bühnendecke gelassen wird für «Like A Hurricane». Der echte Wirbelsturm bleibt in Montreux jedoch aus - am Schluss sind die Ponchos trocken und das Publikum wird mit «Rockin' in the Free World» auf den Lippen die Nacht geschickt.